Tagungsankündigung: | Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts (DGEJ);
Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der europäischen
Aufklärung, Universität Halle-Wittenberg (IZEA); Exzellenznetzwerk
„Aufklärung – Religion – Wissen“; Franckesche Stiftungen zu Halle
30.09.2010-03.10.2010, Halle an der Saale
Deadline: 15.07.2009
Die Sachen der Aufklärung
Geläufig ist die Rede von der `Sache` der Aufklärung. Damit ist ihr
vernünftig begründetes Anliegen, ihr programmatischer Kern, ihre
Zielvorstellung angesprochen, auch ein normativer Gehalt, der weit über
die Epoche der Aufklärung hinaus wirksam ist. Die ‚Sachen‘ der
Aufklärung zu thematisieren richtet den Blick dagegen auf das Konkrete,
auf die Praktiken, auf das jeweils Verhandelte bzw. Umstrittene sowie
auf die materiale Dimension von Erkenntnis, Kultur und Überlieferung,
von Laboreinrichtungen, Handelswaren, Kunst- oder Gedächtnisobjekten.
Die entsprechenden Blickwendungen hat die Aufklärungsforschung in den
vergangenen Jahren vielfach vorgenommen. Unser Bild des Jahrhunderts hat
dadurch auf der einen Seite enorm an Komplexität gewonnen. Diese
Differenzierung macht es auf der anderen Seite aber immer schwieriger,
die Kontur der Epoche von einem durchgängigen Prinzip – von der Sache
der Aufklärung – her zu bestimmen.
Unter dem Titel Die Sachen der Aufklärung soll die Spannung zwischen
Sache und Sachen fokussiert werden, um die Entwicklung und Diskussion
von Blickweisen zu befördern, die einen produktiven Umgang mit ihr
ermöglichen. Dabei ist daran zu erinnern, dass die Unterscheidung von
Sache und Sachen, von Programmatik und Pragmatik der Aufklärung nur eine
analytische sein kann, denn im historischen Prozess treten beide in
wechselseitiger Bedingtheit auf. Zum einen werden die Sachen stets im
Licht der von der Aufklärung verfochtenen Sache wahrgenommen: Die Sachen
erhalten ihre Kontur wesentlich dadurch, welcher Sache sie dienen. Zum
anderen geht die Selbstverständigung der Aufklärung weit häufiger, als
Zerrbilder eines einseitigen Rationalismus unterstellen, vom Konkreten
aus, so wie sich die Durchsetzung aufklärerischer Anliegen notwendig auf
konkrete Objekte und Sachverhalte bezieht und – wie weitreichend ihre
Ziele auch seien mögen – in jeweils aktuellen Praktiken realisieren
muss. Als typisch aufklärerisch für diese Immersion ins Konkrete kann
die Anklage von intellektuellen, religiösen, politischen, sozialen oder
ästhetischen Missständen vor dem Gerichtshof der Vernunft gelten: Indem
die Aufklärung ihre Sache als Streitsache verhandelt, wird auch sie zum
Verhandlungsgegenstand. Darin liegen eine Schwächung – der Eintritt ins
je Bedingte – und eine Stärkung – die Nötigung zu dauernder
Selbstreflexion – zugleich. So oder so: Wie Kehrseiten ein und derselben
Medaille ist die Sache der Aufklärung an deren Sachen gekoppelt. Es
bedarf daher keiner Entscheidung, ob der Sache oder den Sachen der
Vorrang zu geben sei, sondern es ist zu fragen, welche Folgen ihre
vielfältigen Beziehungen auf beiden Seiten haben.
Beantworten lässt sich diese Frage nur auf der breiten Grundlage
gegenwärtiger Erforschung der kulturellen Vielfalt des 18. Jahrhunderts.
Mit den Sachen der Aufklärung sind sowohl die Dinge der Alltagskultur
und Warenwelt als auch die Objekte wissenschaftlicher Erkenntnis
angesprochen, sowohl die causae, welche die Aufklärung vor ihren
Gerichtshof bringt, als auch die res, die das rhetorische System als
Gegenstand der Rede und der Künste definiert, sowohl die Medien der
Kommunikation und Überlieferung als auch das erkenntnistheoretische
Verhältnis von Verstand und Sinnlichkeit. Die in sich interdisziplinären
Panels der Tagung setzen an den zahlreichen epistemischen Schnitt- und
Bruchstellen an, an denen der Wechselbezug von Sache und Sachen der
Aufklärung zutage tritt. Durchgängige Leitfrage ist die nach der
Spannung sowie den Interferenzen zwischen der Sache und den Sachen der
Aufklärung:
1. Redesachen: Gegenstände der Rhetorik (Sektionsleitung: Prof. Dr.
Carsten Zelle, Bochum)
Nichts wird in der Aufklärung zur Sache, wenn es nicht zur Sprache
gebracht wird. Wie die Sache als Rede zur Sprache gebracht und
dargestellt werden kann, regelt das rhetorische System. Es sorgt dafür,
dass Sachen gefunden (inventio), lokalisiert (dispositio) und formatiert
(elocutio) werden können, und zwar unabhängig davon, ob es sich um
programmatische Anliegen des Projekts Aufklärung, um einzelne
Kampfideen, Probleme und Anliegen oder einfach nur um Gerüchte, Klatsch
und Tratsch handelt. Dabei nehmen nicht nur die Sachen selbst Gestalt
an, sondern auch das rhetorische System als solches, das im Prozess der
Aufklärung alte Aufgaben verliert und neue übernimmt. Damit stehen
einerseits die Relationierung von res und verba in der
Aufklärungsrhetorik, ihr Wandel im Blick auf die Betonung von Interesse,
Perspektive und Standortgebundenheit (praktisch z.B. in der
Disputierkunst; theoretisch z.B. in Ästhetik oder
Geschichtswissenschaft) zur Diskussion. Andererseits schließen diese
Probleme zu einer spezifischen Rhetorik des Wissens mit ihren
unterschiedlichen Verfahren der Darstellung, Bildgebung und
Evidenzerzeugung auf. Mit den Gegenständen der Rhetorik geht es also
auch um die Umstände, unter denen eine Sache zur wissenschaftlichen oder
gar zum epistemischen Ding werden kann.
2. Streitsachen: Akteure, Praktiken und Situationen (Sektionsleitung:
Jun.-Prof. Dr. Marian Füssel, Göttingen)
Die Sache der Aufklärung realisiert sich genuin als Streitsache, denn an
den tradierten Ordnungen des Lebens, Wissens und Glaubens hat sie kein
Genügen. Indem die Aufklärung das Gegebene nicht als selbstverständlich
hinnimmt, sondern als begründungsbedürftig auffasst, wird auch ihre
eigene Sache verhandelbar: Denn Prozesse führen nicht nur
(intendierterweise) zu einem Urteil über die jeweilige Streitsache,
sondern setzen (meist nicht-intendierterweise) ebenso die Regel der
Diskussion aus. Von ihren Streitsachen her gesehen handelt es sich bei
der Aufklärung um eine Sache, die sich nicht allein aufgrund von
Prinzipien und Systementwürfen rekonstruieren lässt, sondern die immer
über ihre kulturellen Konkretionen und Praktiken ausgehandelt wird. Hier
soll jedoch nicht allein der Stil des Streitens im Vordergrund stehen,
sondern die Wirkmächtigkeit der Streitsache selbst. Welchen Unterschied
machte die Gestalt der Streitsache für die Frage mit wem, wie und mit
welchen Mitteln gestritten wurde? Wo wurde um die Sache der Aufklärung
selbst gestritten und wo gerieten altbekannte Streitsachen in den Sog
einer aufgeklärten Streitkultur? Ein Blick auf die Streitsachen der
Aufklärung eröffnet mithin neue Perspektiven auf Akteure, Praktiken und
Situationen, mit und in denen Aufklärung stets aufs Neue verhandelt
wird.
3. Sinnliches Erfassen der Sachen: Ästhetik als neue Wissenschaft
(Sektionsleitung: PD Dr. Ulrike Zeuch, Wolfenbüttel/ Göttingen)
Als die `Wissenschaft von allem, was sinnlich ist`, wird die Ästhetik im
18. Jahrhundert zur Leitdisziplin. Die Aufwertung der unteren gegenüber
den oberen Erkenntnisvermögen durch Baumgarten und Meier verleiht den
Sachen in ihrer Materialität eine neue Dignität. Da die Ästhetik weit
mehr als die so genannten Schönen Künste umfasst, wird sie zur Grundlage
für sehr verschiedene Disziplinen – Psychologie, Semiotik, Rhetorik und
Poetik, Metaphysik, Theologie und Ethik; aber auch Physik (Optik) und
Medizin –, und die Sinnlichkeit neben der Vernunft zur zweiten zentralen
Instanz auf der Suche nach gewisser Erkenntnis. Inwiefern nun erschließt
die Ästhetik als Grundlage verschiedener Disziplinen neue Gegenstände
bzw. Sachen? Entsteht ein anderer Typus von Wissenschaftler? Erfordert
die Ästhetik eine grundlegend andere Methode zur Gewährleistung sicherer
Erkenntnis? Oder ist die Ästhetik mit Blick auf die Wahrnehmungstheorien
im 17. Jahrhundert kaum neu? Welche Rolle schließlich spielt die
Ästhetik für die Abgrenzung des Idealismus von der Aufklärung? Diese
Fragen an die Ästhetik der Aufklärung überprüfen den Status der
Sinnlichkeit sowohl im interdisziplinären Zusammenhang als auch im
Kontext seiner Verhandlung.
4. Medialität der Sachen: Materialität der Kommunikation
(Sektionsleitung: Dr. Stephan Kammer, Berlin/ Düsseldorf)
Die Sachen der Aufklärung sind kommunizierte Sachen – und ihre
Kommunikation beschränkt sich nicht auf die Verständigung und Belehrung
über Semantiken, sondern hat immer auch materiale und performative
Facetten. Im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickeln sich deshalb auf der
einen Seite Modelle und Theorien, die auf die (Möglichkeits-)Bedingungen
der elementaren Kommunikationsvehikel reflektieren: Schriftlichkeit
(Hand- und Druckschrift), Mündlichkeit und Bildlichkeit. Parallel dazu
explodieren auf der anderen Seite geradezu die Gebrauchsmodalitäten
dieser Vehikel. Zwar mag eine späte Selbstbeschreibung der Epoche als
‚tintenkleksendes Säkulum‘ sich ihrerseits schon polemischer Abgrenzung
verdanken, in der Tat aber werden die Materialien der Kommunikation –
beispielsweise in den umfänglichen Korrespondenzen sowie in der rasanten
Entwicklung moderner Buch- und Medienkultur – unübersehbar. Doch auf die
Domäne der Schriftlichkeit bleiben diese Entwicklungen nicht beschränkt.
Von den Bühnen des Theaters und Musiktheaters über die Räumlichkeiten
des Sammelns zwischen Wunderkammer und Antikensaal bis hin zur
pädagogischen Praxis des Realienunterrichts: Alles kann zum Medium der
aufklärerischen Sache werden.
5. Schöne Sachen: Deutung und Bedeutung der Künste und ihrer Geschichte
(Sektionsleitung: Prof. Dr. Joachim Jacob, Gießen)
Während die Kunst in den vorangegangenen Jahrhunderten um ihrer
Bedeutung willen geachtet wurde, ist das 18. Jahrhundert vordringlich an
ihrer Sinnlichkeit interessiert. Winckelmann entdeckt die griechischen
Plastiken in ihrer Dinglichkeit neu. Dabei bedient er sich zwar des
traditionellen Begriffs der Allegorie, bereitet aber – von der Sache her
– den Boden für jenen Paradigmenwechsel, der am Ende des 18.
Jahrhunderts auf den Begriff des Symbols gebracht wird. Ob über den
Leisten der Allegorie geschlagen oder an der Elle des Symbols gemessen,
von nun an bestimmt die Sinnlichkeit das Leistungsprofil der Bildenden
Kunst und der Literatur. Bedeutung wird nicht mehr als etwas verstanden,
das den Sachen von außen angetragen wird, indem man die entsprechenden
Regeln beachtet, sondern als etwas, das von den Sachen selbst verkörpert
wird. Dass dabei plötzlich auch künstliche (Monstren, Maschinen),
eingebildete, geträumte oder unheimliche Sachen (Geister, Gespenster)
eine Rolle spielen oder dass sich die Dinge im Auge des Betrachters
verselbständigen und beginnen, auf eigene Rechnung zu wirtschaften, wird
nicht erst von der Aufklärungskritik entdeckt.
6. Gedächtnis der Dinge: Materialität von Erinnerungsobjekten und
Gedächtnismodellen (Sektionsleitung: Dr. Christiane Holm, Halle)
Unter den Vorzeichen der Temporalisierung von Kommunikationsprozessen
und mit einem gesteigerten Interesse für psychische Vorgänge arbeitet
die Aufklärung am Umbau des rhetorisch gestützten, räumlichen
Gedächtnismodells zur dynamisch konzipierten Erinnerung. Dabei rücken
gerade deren Eigendynamiken wie partielle Amnesien oder eingebildete
Erinnerungen ins Zentrum sensualistischer oder seelenkundlicher
Untersuchungen. Das bedeutet keinesfalls, dass räumlich-dingliche
Zusammenhänge obsolet würden, vielmehr werden diese selbst mit einem
Zeitindex versehen. Neue dingbasierte Memorialtechniken werden weniger
in Theorien als in Kulturpraktiken erprobt und ausgehandelt, für deren
Notation und Reflexion die Literatur eine zentrale Rolle übernimmt.
In den Blick genommen werden sollen erstens die Transformationen und
Inventionen von Erinnerungsmedien der Aufklärung, etwa die politischen
Medaillen oder intimen Zimmerdenkmäler, sowie ihre Beziehung zu
Referenzphänomenen wie Fetisch, Reliquie, Trophäe. Zweitens ist nach den
Formen und Formationen der mit ihnen verbundenen Erinnerungspraktiken zu
fragen, nach den Gründungsszenen des Andenkens, z.B. im anakreontischen
Freundschaftskult, sowie dem Verwahren und Zeigen von
Erinnerungsstücken, z.B. bei Autographensammlungen.
7. Empirie der Tatsachen: Sachverstand in Beobachtung und
Versuchsanordnung (Sektionsleitung: Prof. Dr. Olaf Breidbach, Jena)
Die wissenschaftliche Frage nach der Natur der Sache wird im 18.
Jahrhundert in neuer Weise am konkreten Objekt geklärt und diskutiert.
Die Naturwissenschaften erklären die Forschung an den Sachen selbst zur
conditio sine qua non. Damit gewinnen die Sammlungen neues Interesse; es
werden die Möglichkeiten erörtert, mit und an ihnen zu experimentieren,
sowie die nötigen Apparaturen, Verfahren und Konstruktionen. Über diese
Empirisierung und das Streben nach Neuem hinaus bemüht man sich zudem um
eine Öffentlichkeit für dieses Neue. Dadurch geraten die neu gefundenen
Sachen auf die Bühne und werden in öffentlichen Demonstrationen für ein
Laienpublikum nun ihrerseits für die Sache der Aufklärung
instrumentalisiert. Es geht um nicht weniger als eine gesellschaftliche
‚Elektrisierung‘ durch etwas, das bisher noch gar nicht bestimmt oder
nur nach äußeren Kriterien geordnet wurde. Interessant werden freilich
gerade die Ausnahmen, in denen sich die Empirie nicht den Theoremen
fügen möchte.
8. Schaustücke und Lehrmodelle: Dingbasierte Bildungskonzepte in
Realienunterricht, Museen, Wissenstransfer (Sektionsleitung: Dr. Thomas
Müller-Bahlke, Halle)
Die Sektion wird sich mit Formen des Wissenstransfers anhand von
konkreten Objekten beschäftigen. Diese Objekte können singulär oder in
einem Sammlungszusammenhang stehen. Für die Sektion können folgende
Fragen Leitfunktion haben: Welche Bedeutung haben Sammlungsstücke und
Lehrmodelle in pädagogischen Konzepten und im Schulunterricht? Wer sind
die Adressaten der objektbezogenen Vermittlung und welche Methoden
finden dabei Anwendung (Anschauen, Begreifen, Vorführen, Versuchen
u.a.)? Welche Bedingungen konstituieren ein Objekt als Wissensträger? In
welchen Zusammenhängen werden Objekte pädagogisch aufbereitet (Kunst-
und Naturalienkammern, Gelehrtensammlungen, Bibliotheken, Gärten u.a.)?
Wie vollzieht sich Wissenstransfer als Objekttransfer (Sozietäten,
Missionen, Reisen, Korrespondenzen)?
9. Fall und Fallgeschichte: Der Mensch als Sache anthropologischer
Diskurse (Sektionsleitung: Dr. Dr. Yvonne Wübben, Berlin)
In der anthropologischen Wende des 18. Jahrhunderts spielt die Sache des
Menschen eine besondere Rolle: in Erfahrungsseelenkunde und Literatur
(Briefroman, Drama, Autofiktion, Kurzprosatext) steht der Mensch als
individueller Fall zur Diskussion, an dem sich zugleich eine Regel oder
etwas Allgemeines zeigen soll. Dafür greift die Aufklärung auf
juristische, populäre (moralische) oder medizinische Fall-Sammlungen der
Frühen Neuzeit zurück (auf die narratio facti oder historia morbi), um
sie den veränderten Bedürfnissen und neuen wissenschaftlichen, vor allem
anthropologischen Erkenntnissen anzupassen. Zugleich bilden sich in der
Literatur entsprechend neue Erzählweisen aus, die zwischen
psychologischer Auktorialisierung und pathologischer Personalisierung
alle Register ziehen. Bleiben indes die topischen Muster von
frühneuzeitlichen Sammlungen und anthropologischen literarischen
Fallgeschichten dieselben oder verändern sie sich? Neben Geschichte,
Theorie und Epistemologie des Falls legt die Sektion deshalb den
Schwerpunkt auf das Verhältnis von Narration, Medien und Episteme. Dabei
sollen Aufzeichnungsformen, Schreibszenen, Kompilations- und
Sammelpraktiken untersucht werden, die es erlauben, den Fall und die
Fallgeschichte in der materialen bzw. literalen Kultur der Aufklärung zu
situieren.
10. Spielsachen und Luxusgüter: Zum Nutzen der unnützen Sachen
(Sektionsleitung: PD Dr. Dominik Schrage, Dresden)
Den unnützen Sachen gegenüber sehen sich viele Aufklärer in einem
Zwiespalt: Während die zweckfreie Beschäftigung mit den Spielsachen auf
der einen Seite einen Unwert bedeutet, weil die Gelegenheit zu einer
Besserung der Moral, der Lebensverhältnisse oder der Gesellschaft
versäumt wird, werden auf der anderen Seite traditionelle religiöse oder
moralische Verurteilungen des Nutzlosen aufgehoben. Vielfach entdeckt
die Aufklärung den Nutzen des (vermeintlich) Nutzlosen: Zum einen
verschaffe das scheinbar bloß vergnügliche Spiel eine nötige Erholung
und schule, besonders bei den Kindern, Aufmerksamkeit, Gemüt und
Verstand. Zum anderen hätten die Spielsachen, ein unter dem
Gesichtspunkt der Selbsterhaltung unnötiger Luxus, auch positive Effekte
für die ihn bedienenden Handwerker und Fabriken. Der pädagogische und
der ökonomische Nutzen der Spielsachen fällt zusammen in den Modepuppen
und Puppenhäusern, in denen die Neuerungen der Warenwelt als
verkleinertes Modell der spielerischen Neugier (nicht nur der Kinder)
zugänglich und be-greifbar werden. Fragen lässt sich, welche
Spiel-Sachen und Luxusgüter den Aufklärern vor Augen stehen, wenn sie
deren Beitrag zur ihrer ‚Sache‘ kalkulieren. Fragen lässt sich
weiterhin, wie sie mit dem genannten Zwiespalt umgehen, mit welchen
Argumenten sie ihn zu schließen versuchen oder aus welchen Gründen sie
ihn offenhalten.
11. Wertsachen: Ökonomie (Sektionsleitung: Prof. Dr. Michael North,
Greifswald)
Bereits die frühe Aufklärung nimmt eine epochale Aufwertung der
gehandelten Sache vor: Der Austausch von Waren verbinde und bereichere
die Völker. Positiv bzw. moralisch neutral kann nun sowohl der
ökonomische als auch der symbolische Umgang mit materiellen Werten
eingestuft werden, so dass die Produktionsweisen und Prozesse der
Wirtschaft ebenso an Aufmerksamkeit gewinnen wie Interieur, Mode,
Schmuck, Bücher, Kunst. Von weitreichender Bedeutung für die Entstehung
einer Marktgesellschaft ebenso einer Konsumgesellschaft ist die
semantische wie mentale Verschiebung, die das bisher sündhafte Streben
nach dem Besitz der Dinge zum ‚Interesse‘ adelt. Einigen Autoren gilt es
bereits als eigentliche Antriebskraft des gesellschaftlichen
Fortschritts, so dass der Fortgang der aufklärerischen ‚Sache‘ (auch)
von der Zirkulation der Sachen abzuhängen scheint. Fragen lässt sich,
wie die Sachen der Ökonomie und des Konsums werthaft besetzt werden, und
zwar in einem nicht nur ökonomischen Sinne.
12. Kultobjekte: Reliquien, Fetische, Andachtsmedien (Sektionsleitung:
Prof. Dr. Udo Sträter, Halle)
Das Projekt der Aufklärung versteht sich gemeinhin als ein Programm der
Austreibung der Fetische, sie verleugnet ihren eigenen Bezug zum
Fetisch. Die abergläubischen Bindungen an heilige Dinge sollen durch die
Kraft der Vernunft überwunden werden. Dem Fetisch erliegen immer die
Anderen. Doch „je antifetischistischer die mentale Haltung, desto
fetischistischer die Praxis.“ (H. Böhme). Die Besetzung der (heiligen)
Dinge mit Projektionen, Bedeutungen und affektiven Energien lässt sich
an religiösen, wissenschaftlichen und künstlerischen Kultobjekten und
ihrer jeweiligen Sammlungsgeschichte studieren. Dabei soll den eigenen
Fetischen, etwa den „heiligen Häuptern“ bzw. Meisterdenkern der
Aufklärung, die sich in Büsten, Statuen, Medaillons und Grabmälern
materialisieren, ebenso Aufmerksamkeit geschenkt werden wie der
Erforschung der Welt der Dinge, die sich dem religionswissenschaftlichen
wie dem ethnologischen Blick u.a. in der Begegnung mit dem Fremden
erschließt. Neben den Dingen selbst interessieren die Frömmigkeits- und
Verehrungspraktiken im Umgang mit den Objekten.
Die Leitung haben Prof. Dr. Daniel Fulda (Halle) und PD Dr. Frauke
Berndt (Frankfurt am Main).
Bitte benutzen Sie für Ihre Anmeldung das bereitgestellte Formular auf
unserer website: http://www.izea.uni-halle.de/veranst/sachen2010.htm
|