Tagungsankündigung: | Unter den Territorien des ernestinisch-mitteldeutschen Raums nahm das Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg in den Jahrzehnten um 1700 eine
besondere Stellung ein. Die steigende politische Bedeutung des Gothaer
Hofs unter Herzog Friedrich II. (1693-1732) ging einher mit einer
bislang kaum gekannten Blüte der Gelehrsamkeit. So vergrößerte sich die
Büchersammlung durch territorialen Zugewinn und die Übernahme von
Privatbibliotheken, eine Aufsehen erregende Münzsammlung wurde erworben,
und Schloss Friedenstein erlangte einen bis heute nachklingenden Ruf als
frühes Reformationsforschungszentrum. Den politisch-dynastischen
Hintergrund bildeten Erbfolgestreitigkeiten, aber auch das
problematische Verhältnis zum Kaiser und die Bemühungen um den Vorsitz
des Corpus evangelicorum; konfessionell stand der Gothaer Hof im
Spannungsfeld zwischen Pietismus und lutherischer Orthodoxie. Die
Verbindung von Hofgelehrsamkeit und Wissenschaft, höfischer
Repräsentation und Traditionsbildung, protestantischer Prägung und
politisch-dynastischer Vernetzung spiegelt sich nicht zuletzt in einer
außerordentlich dichten Quellenüberlieferung wider, die noch heute auf Schloss Friedenstein in Archiv, Bibliothek und Museum aufbewahrt wird.
Auch wenn die Ausstrahlung und Attraktivität dieses höfischen Universums
und das Zusammentreffen von Ideen, Gelehrten, Politikern und
Geistlichkeit möglicherweise als prototypisch für die höfische
Wissenskultur zwischen Barock und Aufklärung gelten können, existieren
doch bis heute kaum Untersuchungen, die sich dieser Blütezeit des
Gothaer Hofes angemessen gewidmet hätten. Zwischen der Regierungszeit
Ernst des Frommen im 17. Jahrhundert und dem Aufstieg des Weimarer
Nachbarherzogtums im Lauf des 18. Jahrhunderts klafft in der Forschung
eine Lücke, die, wenn nicht zu schließen, so doch zu umreißen und zu
vermessen eine Tagung anstrebt, die vom 28. bis 30. Oktober 2010 am
Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt auf Schloss Friedenstein
stattfindet.
Im Rahmen der Konferenz soll dem Spannungsfeld zwischen Wissenskulturen
der Frühaufklärungszeit und höfischen Lebenswelten um 1700 nachgegangen
werden. Ausgangspunkt ist der Gothaer Hof in der Regierungszeit Herzog
Friedrichs II. (1693-1732) in seinem ernestinisch-mitteldeutschen
Kontext sowie vor dem Hintergrund seiner internationalen Vernetzung.
Ziel der Tagung ist einerseits, die Residenz- und Hofforschung um
wissens- und ideengeschichtliche Perspektiven zu erweitern. Andererseits
soll die Geschichte der Ideen und die frühneuzeitliche
Wissenschaftsgeschichte der Geisteswissenschaften zwischen Barock und Aufklärung in die soziokulturellen und politisch-konfessionellen
Strukturen und Rahmenbedingungen an einem protestantischen Hof
eingeordnet und an diese rückgebunden werden.
In diesem Zusammenhang lassen sich Fragen thematisieren nach einer
möglichen obrigkeitlichen Steuerung von Wissenschaft durch Herzog und
Hof, nach einer `opportunistischen` Einbettung von gelehrter in
politische Hofkommunikation, nach einer Kompensation territorialer
Mindermächtigkeit durch kulturelle Aktivität und dynastische
Traditionsbildung, nach den Auswirkungen territorialer Pluralität und
Konkurrenz im mitteldeutschen Raum auf höfische Wissensproduktion und
deren politische oder konfessionelle Instrumentalisierung, nach Aspekten
von Kulturtransfer und Transformationen in der Wissenskultur.
Als mögliche Untersuchungsfelder bieten sich unter anderem an:
Historiographie, dynastische Traditionsbildung, Theologie und
Kirchengeschichtsschreibung, Numismatik, Philologie, Sammlungsstrategien
und Realien, die Rolle des Hofes in Wissensvermittlung und
Bildungsbestrebungen, wissenschaftliche Personalpolitik einschließlich
prosopographischer bzw. personengeschichtlicher Fragen,
Bildungsbeziehungen, etwa zwischen der Universität Jena, dem Gymnasium
Ernestinum und dem Gothaer Hof, gelehrte Netzwerke zwischen Gotha, den
ernestinischen Höfen und der europäischen Gelehrtenrepublik,
Wechselwirkungen zwischen intellektuellem Austausch, Wissensgenese und
territorialer Außenpolitik Sachsen-Gotha-Altenburgs, die Auswirkungen
konfessioneller Konkurrenz bzw. innerprotestantischer Lagerbildung
(“Orthodoxie“, “Pietismus“) auf höfische Wissenskulturen u.v.m.
Die Tagung möchte Spezialistinnen und Spezialisten zu den genannten
Themen auf Schloss Friedenstein in Gotha versammeln und miteinander ins
Gespräch bringen. Erwünscht sind daher forschungsorientierte Vorträge
von ca. 25 Minuten, die ggf. auch über den Gothaer Hof hinaus weisende
Perspektiven entwickeln.
Anreise und Übernachtung werden für die Vortragenden selbstverständlich
übernommen.
Wir bitten Sie um die Einsendung eines Abstracts von maximal einer Seite
zu einem möglichen Vortrag sowie um eine Kurzbiographie zu Ihrer Person.
Um Einsendungen bitten wir bis 15.Juli 2010 an
miriam.rieger@uni-erfurt.de. Eine Benachrichtigung über die Aufnahme ins endgültige Programm erhalten Sie Anfang August 2010. |