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HBO Datenbank - Tagung

Tagungsthema: Wissenschaftskultur in der Nachkriegszeit. Jahrestagung des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsen
Durchführende Institution: Zeitgeschichtlicher Arbeitskreis Niedersachsen
Tagungsbeginn: 16. 11. 2001
Tagungsende: 17. 11. 2001
Tagungsort: Goettingen
Anprechpartner: Weisbrod, Bernd
Tagungsankündigung: Prof. Dr. Bernd Weisbrod
Seminar fuer Mittlere und Neuere Geschichte/ Universitaet Goettingen

Tagungsankuendigung:

Wissenschaftskultur in der Nachkriegszeit

Jahrestagung des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsen
am 16./17. November 2001 in Goettingen



Die akademische Vergangenheitspolitik hat in letzter Zeit unter den Historikern eine gewisse Aufmerksamkeit erlangt hat - nicht zuletzt wegen der kontroversen Diskussion auf dem Frankfurter Historikertag und der anschließenden Interview-Serie, in der die Nachkriegsgeneration mit ihren ``versaeumten Fragen`` konfrontiert wurde. Die hier angekuendigte Tagung geht von der Annahme aus, dass die disziplinaere Verengung auf die vermeintlichen Versaeumnisse der Historiker nur eine unvollkommene Vorstellung von den Problemen des Wissenschaftswandels erlaubt, denen prinzipiell alle Wissenschaften nach dem Nationalsozialismus ausgesetzt waren. Zweifellos stehen hier gerade die Geisteswissenschaften im Verdacht einer besonderen ``Affinitaet`` mit den Zielen des Nationalsozialismus, obwohl sich angesichts der breiten Literatur zur Nuetzlichkeit der angewandten Wissenschaften eine solche ``Privilegierung`` von selbst verbietet. Wenn sich aber zeigt, daß sich die Verfuegbarkeit der Wissenschaften im Nationalsozialismus weniger über die konkreten Ziele als über die professionelle Selbstmobilisierung der akademischen Dienstklasse herstellte, dann muß auch die Frage nach der Absatzbewegung von der eigenen wissenschaftlichen Vergangenheit in der Nachkriegszeit anders gefasst werden. Es geht daher nicht um das ``Erbe`` des Nationalsozialismus in den Wissenschaften, sondern um die intellektuellen, professionellen und institutionellen Umwidmungsprozesse, die wissenschaftlichen Ressourcen für eine neue Zukunft ausrichteten.

Dieser Ansatz geht damit von der Verfuegbarmachung wissenschaftlicher Ressourcen in der Ablossung vom Nationalsozialismus aus. Er hat zunaechst den Vorteil, daß er mit der Kontinuitaet persoenlicher Netzwerke und disziplinaerer Denkstile rechnen kann, ohne die innere Abkehr vom Nationalsozialismus oder das Bekenntnis zu einem demokratischen Wissenschaftsideal annehmen zu muessen. Darueber hinaus sollte sichtbar werden, daß sich das disziplinaere Dilemma der Historikerzunft wenigstens zu einem Teil aus der transdisziplinaeren Problematik des allgemeinen Wissenschaftswandels erklaert, in dem die akademische Welt ihre jeweils ueberkommenen Denkstile rehabilitieren und neu konfigurieren musste. Die utilitaristische Ueberformung des wissenschaftlichen Ordnungsdenkens, die ein Kennzeichen der Wissenschaften im Nationalsozialismus war, suchte in einer Art verdeckter Vergangenheitspolitik eine neue Selbstbestimmung. Von der Verwestlichung des akademischen Stils oder der Internationalisierung der Wissenschaft war diese freilich noch weit entfernt.

Im einzelnen soll diese Frage an Beispielen aus verschiedenen Bereichen der akademischen Vergangenheitspolitik überprueft werden: Die professionelle Selbstbehauptung der ``Mandarine``, die heimatlose Wiederkehr der Exilanten, die intellektuelle Umwidmung von wissenschaftlichen Denktraditionen, die idealistische Rhetorik des Neuanfangs und die Suche nach einem konsistenten Forschungsideal. Absichtlich stehen dabei Faelle aus verschiedenen Disziplinen nebeneinander: Soziologie und Oekonomie, Geschichte und Philosophie, Paedagogik und Germanistik, Psychiatrie und Humangenetik. Ein gewisser Bezug zur Goettinger Gelehrtenwelt ist durchaus beabsichtigt, wobei der Schlussvortrag über die Goettinger Atomphysiker darauf hinweist, dass das wissenschaftliche Dilemma des gewandelten Selbstverstaendnisses auch und gerade in den Naturwissenschaften ein moralisches Dilemma war.

Tagungsprogramm

Freitag, 16. November

11.00 Begruessung
11.15 Bernd Weisbrod (Goettingen):
Dem wandelbaren Geist. Wissenschaftliche Transformationen in
der Nachkriegszeit.

14.30 Sektion I: Die Profession der Professoren
Ralph Jessen (Potsdam): Von den Vorzuegen des Sozialismus
und der deutschen Teilung: Kollaborationsverhaeltnisse im
ostdeutschen Wissenschaftssystem der 50er Jahre.

Oliver Schael (Goettingen): Die Grenzen der akademischen
Vergangenheitspolitik: Der Verband der nichtamtierenden
amtsverdraengten Hochschullehrer in der westdeutschen
Hochschullandschaft.

Kommentar: Herbert Obenaus (Hannover)

17.00 Sektion II: Heimkehr und Wiederkehr
Carola Dietze (Goettingen): Der heimatlose Heimkehrer:
Helmut Plessner in Goettingen.

Claus-Dieter Krohn (Lueneburg): Hermetische Wissenschaft.
Zur selektiven Rezeption des Exils in den wissenschaftlichen und
kulturpolitischen Debatten der Nachkriegszeit.

Kommentar: Inge Marssolek (Bremen)

Samstag, 17. November

9.00 Sektion III: Intellektuelle Umwidmung
Thomas Etzenmueller (Tuebingen): Die Oeffnung des
Ordnungsdenkens in der Geschichtswissenschaft: Werner Conze.

Daniel Morat (Goettingen)
Rechtsintellektuelle Fluchten in der Philosophie:
Martin Heidegger.

Kommentar: Lutz Niethammer (Jena)

11.00 Sektion IV: Idealistischer Umbau

Kai-Arne Linneman (Goettingen)
Die Wiederkehr des akademischen Buergers.
Hermann Nohl und die Paedagogik der Sittlichkeit.

Gerhard Kaiser, Matthias Krell (Siegen)
Semantische Umbauten in den Geisteswissenschaften nach 1945.

Kommentar: Margret Kraul (Goettingen)

14.30 Sektion V: Wissenschaftliche Verwandlungen
Svenja Goltermann (Bremen): Nachkriegspsychiatrie als
``experimentelle Wissenschaft``.

Carola Sachse (Berlin): ``Persilscheinkultur``. Zum Umgang mit der
NS-Vergangenheit in der Kaiser-Wilhelm/Max-Planck-
Gesellschaft nach 1945.

Kommentar: Ruediger vom Bruch (Berlin)

16.30 Schlußvortrag
(zusammen mit dem Institut für Wissenschaftsgeschichte)

Mark Walker (Schenectady NY): Von Kopenhagen bis
Goettingen. Verdeckte Vergangenheitspolitik in den
Naturwissenschaften.

Kontakt:

Frank Boesch
Seminar fuer Mittlere und Neuere Geschichte
Platz der Goettinger Sieben 5
37073 Goettingen

E-Mail: fboesch@gwdg.de

Erfassungsdatum: 29. 11. 2001
Korrekturdatum: 28. 03. 2006