Text der Rezension: |
Sich für das Buch zu
interessieren, ist an eine Bedingung geknüpft. Es verlangt, sich wie
auch immer zu der These verhalten zu wollen, dass es eine für die
politische Kultur in der neuen Bundesrepublik wichtige Frage sei, wie mit
der Geschichte des Antifaschismus und des kommunistischen Widerstandes
gegen den deutschen Faschismus ebenso wie mit dessen staatspolitischer
Instrumentalisierung in der DDR nach dem Zusammenbruch dieses über
Jahrzehnte mit der alten Bundesrepublik konkurrierenden, zudem der Selbstbeschreibung
nach antifaschistischen Staatswesens umzugehen ist. Der so bereits umrissene
Konflikt um die ehemalige Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald wird von
den Autor(inn)en noch dadurch aufgewertet, dass er geradezu als exemplarisch
anzusehen sei für die bereits im Herbst 1989 einsetzenden Debatten
um Erinnerung und Geschichte in Deutschland. Ausdrücklich wird die
Auseinandersetzung um die ehemaligen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald-Dora
als deutsch-deutscher Vereinigungskonflikt verstanden und behandelt. Ziel
der Verfasser war es zu ergründen, welche Segmente der Vergangenheit
für die Gestaltung von Zukunft im Ergebnis dieses anhaltenden Streits
für erinnerungswürdig befunden wurden.
Besondere thematische Komplikationen
ergaben sich durch die Tatsache, dass es der Konflikt mit drei Vergangenheiten
Buchenwalds zu tun bekam: mit der Geschichte des nationalsozialistischen
Konzentrationslagers, mit der im Osten verschwiegenen Geschichte des sowjetischen
Speziallagers und mit der Geschichte Buchenwalds als "Nationale Mahn- und
Gedenkstätte" in der DDR.
Materialgrundlage der Untersuchung
bildeten in erster Linie hunderte von den Mitarbeitern der Gedenkstätte
zwischen 1990 und 1997 gesammelte Artikel und Kommentare der ost- und westdeutschen
Presse. Allein diese Größenordnung mache deutlich, dass es sich
1. um einen öffentlichen Konflikt handelt. Weil überdies alle
relevanten Gruppen der Gesellschaft an der Kontroverse beteiligt wären,
könne 2. von der Tatsache einer gesellschaftlichen Debatte ausgegangen
werden, die sich 3. im Kontext deutsch-deutscher Vereinigungsprobleme entwickelt
habe und 4. eine unübersehbare geschichts- und erinnerungspolitische
Dimension gewonnen hätte. 5. schließlich erhalte der Konflikt
seine internationale Dimension durch den Umstand, dass hier Menschen aus
über 30 Ländern von den Nationalsozialisten inhaftiert worden
waren. Vor allem durch die internationalen KZ-Häftlingsverbände
wurde die Bedeutung Buchenwalds als Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses
vieler Völker immer wieder hervorgehoben.
In den Konflikt inmitten
einer derart verwickelten geschichtlichen und zeithistorischen Situation
wird der Leser behutsam eingeführt, auf konzentrischen Pfaden weitergeleitet
und immer vertrauter mit dem komplexen Thema gemacht. Gleich einer offenen
Wendeltreppe scheinen indes die unteren Stufenschichten auch auf komplizierterer,
höherer Ebene hin und wieder durch. Der wiederkehrende Eindruck von
Redundanz ist damit ebenso unvermeidlich wie selten gerechtfertigt.
Im I. Kapitel erhält
der Leser zunächst einen Überblick über die zeitliche, thematische
und personale Dimension der Auseinandersetzung. Bereits die Chronologie
baut Spannung auf. Sie vergegenwärtigt nicht nur die damalige Sprengkraft
der antifaschistischen Doktrin, sondern erinnert zugleich an den wechselvollen,
ereignisdichten vereinigungspolitischen Kontext zu Beginn der Debatte im
letzten Jahr der DDR, d.h. in der Zeit vom Mauerfall bis zum Beitritt zur
Bundesrepublik fast ein Jahr später. Der mit mehrfachem Wechsel in
der Leitung der Gedenkstätte einhergehende und sich bis 1997 permanent
zuspitzende Konflikt zwischen den Opfergruppen verknüpfte sich stark
mit parteipolitischen Interessen. Die Zeitfolge dokumentiert den großen
Einfluss, den die Presse auf Verlauf und Schärfe des Konflikts zu
nehmen in der Lage war. Vor allem die Bild-Zeitung tat Übliches, um
Spannungen zu schüren. Die Diskussion über den Umgang mit den
Geschichten Buchenwalds wurde zum Medium der Auseinandersetzung mit der
realsozialistischen Vergangenheit und ihres antifaschistischen Selbstverständnisses.
Im II. Kapitel wird die
These des Zusammenhangs von Gedenkstättenkontroverse und Vereinigungskonflikt
entfaltet, der einem unübersehbaren Kräfteverhältnis zwischen
siegreichem und unterlegenem gesellschaftlichem System, nunmehr zwischen
alten und neuen Bundesländern unterliege. Illustriert wird solches
Kräfteverhältnis am Beispiel der Entsorgung repräsentativer
Symbole der untergegangenen DDR sowie anhand der Stasidebatte, die als
wenig hilfreich beurteilt wird, sich vernüftig gegenüber Buchenwald
zu positionieren. Stattdessen sehen die Verfasser durch eine auf die Stasivergangenheit
fixierte DDR-Geschichte antikommunistische Strömungen nicht nur wieder
belebt, sondern sogar verstärkt.
Schließlich wird die
Verquickung von historischer "Aufarbeitung" und parteipolitischen Interessen
an der Tätigkeit der Enquête-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte
und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" illustriert.
Das Zwischenresümee
fällt erwartungsgemäß kritisch aus. Die Auseinandersetzung
mit der DDR-Vergangenheit werde durch einen deutlichen "Bezug auf den Nationalsozialismus
bestimmt" (S. 32). Und: eine insbesondere totalitarismustheoretisch und
durch Pauschalurteile bestimmte "reduktionistische Sicht" (ebd.) signalisiere
"einen bedenklichen Wandel in der bunderepublikanischen Auseinandersetzung
mit dem Nationalsozialismus" (S. 33).
Freilich überzeugen
die Exempel. Zugleich aber werden die immerhin auch zahlreich angeführten
kritischen Einwände gegenüber einer tendenziellen Gleichsetzung
von Nationalsozialismus und Realsozialismus offensichtlich unterbewertet.
Denn jene Argumente sind ja nicht nur geeignet, die Kritik der Verfasser
gegenüber dem bis dato vorherrschenden Umgang mit der DDR-Vergangenheit
zu autorisieren, sondern sie dokumentieren immerhin eine nicht eben untergewichtige
gegenläufige Tendenz. Sehr hilfreich für eine Verständigung
über das Für und Wider des Diktaturenvergleichs in diesem Kapitel
sind im Übrigen die Argumente für einen Vergleich anstatt der
noch allzu oft üblichen Gleichsetzung.
Im weiteren wird die Konfrontation
anstatt mit dem Nationalsozialismus vor allem mit den Westzonen und der
alten Bundesrepublik gesucht und dabei eine deutliche Differenz im Umgang
mit der gemeinsamen nationalsozialistischen Vergangenheit herausgearbeitet.
Das antifaschistische Erinnerungsprogramm im Osten sei nicht nur verordneter
Antifaschismus, sondern auch ein Element der Alltagskultur gewesen. Die
Gedenkstätten in der DDR dürften folglich nicht etwa nur als
Institutionen verordneter Erinnerung gelten, sondern sie waren "`Orte des
kollektiven Gedächtnisses` der DDR". Sie dokumentieren eine "widersprüchliche
Einheit von Systemfunktionalität und lebensweltlicher Bedeutung" (39).
So ertragreich der Ost-West-Vergleich
ist, verweist er doch auch auf das hauptsächliche Motiv der Autor(inn)en
für die Beschäftigung mit dem Buchenwald-Konflikt. Es ist der
längst für defizitär gehaltene Umgang mit der NS-Vergangenheit
in der alten Bundesrepublik. Die Debatte und deren Ertrag werden mithin
vor dem Hintergrund bundesdeutscher Diskurse aus einer westlichen Perspektive
evaluiert. Das Thema ist Anlass für die erneute Auseinandersetzung
mit der eigenen teildeutschen Geschichte.
Die Urteile über alle
nur denkbaren komplexen Widersprüche aber scheinen geradezu zwangsläufig
ost-westlich wie auch immer relativ voneinander verschieden. Vielleicht
besonders die Tatsache, dass frühere antifaschistische Widerstandskämpfer
sich als Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes bei der systematischen Unterdrückung
der DDR-internen Opposition hervor taten, dürfte vor dem Hintergrund
ost-west-differenter Erfahrungshorizonte tendenziell anders wahrgenommen
und interpretiert werden.
Ihre altbundesdeutsche Perspektive
hindert die Verfasser freilich nicht daran, den Buchenwald-Konflikt akribisch
zu dokumentieren, auch nicht daran, ihn zu begreifen. Ihre Stärken
liegen gerade darin, sich distanziert und engagiert zugleich zu verhalten.
Es wird einige Mühe kosten, Argumente ausfindig zu machen, die unberücksichtigt
geblieben sind.
Engagiert jedenfalls ist
die immer wieder durchscheinende Annahme, dass es in der Buchenwald-Kontroverse
von Anfang vor allem um die Abwicklung und Entsorgung des antifaschistischen
Selbstverständnisses der DDR ging. Das verleitete wohl dazu, hier
und da auf den speziellen Beweis zu verzichten. An der aufgeführten
Literatur meist schon vergleichsweise frühen Erscheinungsdatums zu
thematisch relevanten Problemen politischer Bildung zumindest ist außerdem
ablesbar, dass die Beschäftigung mit dem Buchenwald-Konflikt selbst
schon eine Geschichte hat.
Im III. Kapitel werden die
drei Vergangenheiten Buchenwalds noch einmal kurz geschildert. Dabei fällt
freilich erst auf den zweiten Blick auf, dass ausgerechnet bei der Darstellung
der Geschichte des nationalsozialistischen Konzentrationslagers - obzwar
sie z.T. an anderer Stelle erwähnt wird - auf historische DDR-Literatur
zum Thema verzichtet wurde. Das ist vor allem dem Anliegen der Autoren
deshalb wenig dienlich, weil im Folgenden immer wieder vom Verdrängen
und Entsorgen des DDR-Geschichtsbildes die Rede ist. Hier wäre der
Platz gewesen, sich noch deutlicher von der kritisierten Tendenz abzusetzen
und Buchenwald-Darstellungen von DDR-Historikern kritisch zu würdigen.
Das umfangreichste IV. Kapitel
dokumentiert, beschreibt und illustriert den schon begriffen geglaubten
Konflikt nunmehr "im Spiegel der ost- und westdeutschen Presse". Dieser
referierten Dokumentation wurde mit Abstand der größte Raum
gewährt. Überaus kritisch fällt das Urteil über die
Tätigkeit der Historikerkommission aus. Deren Leistungen aber scheinen
geringer geschätzt als sie es im politisch erhitzten Klima der frühen
neunziger Jahre in Thüringen überhaupt sein konnten. U.a. die
Kritik an deren - gemessen am Brandenburger Modell - vergleichsweiser Tatenlosigkeit
ist jedoch insofern nicht konsequent, als die Zurückhaltung der Kommission
bei der Neukonzeption der KZ-Ausstellung beklagt wird, obgleich dies ebenso
gut als Argument wider die historiographische Kolonialisierungsthese hätte
ausgelegt werden können. Ebenfalls dass die Kommission die Empfehlung
gab, beide Lagergeschichten zu dokumentieren, wird kritisch betrachtet
- auch in Hinblick auf die Möglichkeiten Buchenwalds, Ort politischer
Bildung zu werden. Jedoch bleibt andererseits immerhin auch fest zu halten,
dass die Kommission mit dieser Empfehlung für anhaltenden Konfliktstoff
verantwortlich zeichnet, also so gesehen vorzüglich politischer Bildung
dienlich war. Zwar werden auch solche Argumente diskutiert, aber es bleibt
bei dem überwiegend kritischen Urteil über die Leistungen der
Kommission. Freilich wurde in der Tat durch die Empfehlungen der Historikerkommission
der frühere zentrale Referenzpunkt Buchenwalds in Frage gestellt.
Außerdem hätte von den Kommissionsmitglieder unbedingt erwartet
werden dürfen, dass sie die eigene, ausschließlich westdeutsche
Repräsentanz inmitten eines deklarierten Vereinigungsprozesses (selbst)kritisch
zu reflektieren sich bemühen.
Die noch viel weiter gehenden
Erörterungen um Leistungen und Grenzen der Historikerkommission sind
insbesondere deshalb hilfreich, weil sich hier alles Für und Wider
der Debatte versammelt findet. Zugleich allerdings bestätigen die
Argumente, was an anderer Stelle bereits zugegeben war, dass es nämlich
unmöglich gelingen konnte, alle Interessen gleichermaßen zu
bedienen.
Vielleicht wird der Leser
besonders in diesem IV. Kapitel des Öfteren auch zu der Frage provoziert,
ob die Presse in der ihr zugemessenen Funktion als Quelle der Erforschung
von Erinnerungskultur nicht sogar überfordert ist, selbst wenn gewiss
zu Recht von einer permanenten Verschränkung gedenkstättenspezifischer
Probleme, übergreifender Geschichtsdiskurse und politischer Interessen
ausgegangen werden musste, die sich in den Printmedien widergespiegelt
fand. Aber es geraten dadurch geschichtskulturelle und kulturpolitische
Ebenen auch aneinander. Mühelos wird das historische Argument in der
printmedialen Welt zum Leichtgewicht. Und vor allem die Boulevardpresse
- wenn auch notgedrungen - zur Quelle von Erkenntnis aufzuwerten, hat sie
jedenfalls schwerlich verdient - auch wenn die Untersuchung selbstredend
nicht an diesem offenbar stärker, als es sich Erziehungswissenschaftler/Pädagogen
im Allgemeinen wünschen, meinungsbildenden Blatt vorbekommen konnte.
Um so hoffnungsvoller mag stimmen, dass mit der vorliegenden Publikation
die denkbar günstigsten Bedingungen für die Thematisierung des
Buchenwald-Konflikts im Rahmen politischer Bildung geschaffen sind.
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