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HBO Datenbank - Projekt

Projektleiter, Anprechpartner: Bringmann, Prof. Dr. Klaus
Name des Projektes: Philosophie und pragmatisch orientierte Wissensdisziplinen in der Wissenskultur der griechisch-römischen Antike vom 4. bis zum 1. Jh. v. Chr.
Vorauss. Abschluss: 2000
Anschrift, Institut: Forschungskolleg/SFB 435, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt am Main
Darstellung des Forschungsvorhabens:

 I. Problem- und Aufgabenstellung des Projekts

Die Entstehung der Demokratie zog in Athen und in anderen Städten der griechischen Welt einen tiefgreifenden Wandel der Jugendbildung nach sich. Die traditionelle sportliche und musische Erziehung, die der Sozialisation der Heranwachsenden in die aristokratische Gesellschaft diente, qualifizierte unter den neugeschaffenen Bedingungen der Demokratie ebenso wenig zu politischer Führung wie die Zugehörigkeit zu einer Geburtsaristokratie. Der Anspruch auf Führung und ein wie immer geartetes politisches "Programm" mussten nun in der alles entscheidenden Volksversammlung durch die Macht einer überzeugenden Rede, durch Argumente und durch den emotionalen Appell durchgesetzt werden. Die neue Situation schuf das Bedürfnis nach einer Kunst, die die schwächere Sache zur stärkeren zu machen lehrte. In Gestalt der Sophisten traten so erstmals in Griechenland professionelle Lehrmeister auf, die ihre Schüler gegen entsprechende Entlohnung in der Kunst der Rede und Argumentation unterwiesen.

Mit dem Peloponnesischen Krieg kam die Krise der Demokratie und am Ende das Fiasko der oligarchischen Reaktion. Diese Erfahrungen führten Platon zur Fundamentalkritik an den politischen Zuständen seiner Zeit und zu der radikalen Forderung der Philosophenherrschaft.
Die theoretische wie praktische Begründung der wissenschaftlich-philosophischen Lebensform, die der politischen des Bürgerverbands entgegengesetzt war, verstand er als einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer möglichen Realisierung eines Staates der Gerechtigkeit. Mit dieser Wendung gegen die traditionelle Politik und die allgemein akzeptierten Werte war die Verwerfung der bisherigen Bildung, ob es sich nun um Dichtung oder um die sophistische Rhetorik handelte, aufs engste verbunden.

Freilich entwickelte sich die von Platon begründete philosophische Lebensform in eine andere Richtung, als ihrem Urheber vorschwebte: Bei Aristoteles und mehr noch bei dessen Schülern verlagerte sich der Schwerpunkt des Interesses von der Frage nach dem Idealstaat auf die wissenschaftliche Sammlung und Analyse aller Phänomene des Politischen; die von Platon geforderte Einheit von politischem Wissen und Handeln wurde aufgegeben. Der Philosoph wandelte sich zum Wissenschaftler und Gelehrten, der sein theoretisches Wissen dem interessierten Politiker zur Verfügung stellte.

Von der spezifischen Praxisbezogenheit der peripatetischen Philosophie ging ein starker Impuls aus, die schulmäßig gelehrte Rhetorik mit philosophischer Argumentationslehre und moralischer Persönlichkeitsbildung zu verbinden. Schon im Laufe des 3. Jhs. v. Chr. wurde die Außenseiterrolle, die die Philosophenschulen in der Phase ihrer Etablierung gespielt hatten, von einer zunehmenden Integration der Philosophie in die höhere Jugendbildung abgelöst, und im 2. Jh. v. Chr. öffnete sich insbesondere die Stoa den Bildungsbedürfnissen der gesellschaftlichen Eliten in Griechenland und Rom. Es wurde üblich, nicht nur Rhetorenschulen, sondern auch Vorlesungen von Philosophen unterschiedlicher Richtungen zu besuchen. Unter dieser Voraussetzung nahmen die Philosophenschulen ein neues Gesicht an: Sieht man von den Epikureern ab, so waren sie nun weniger Lebens- und Glaubensgemeinschaften als Bildungsinstitutionen. Diese Entwicklung wurde zudem dadurch noch forciert, dass die traditionellen Bildungszentren, Athen und Rhodos, seit dem 2. Jh. v. Chr. Ziel
eines römischen Bildungstourismus wurden.

Die neue philosophisch-rhetorische Bildung und ihre Ausbreitung in der griechisch-römischen Welt hat einen breiten Niederschlag in den Quellen gefunden. Nicht nur Cicero und anderen Autoren des 2. und 1. Jhs. v. Chr. sind eine Fülle von Nachrichten über Schulbetrieb und Bildungsinhalte zu verdanken: Inschriften dokumentieren Schul- und Gymnasialstiftungen, Grabreliefs zeigen Verstorbene mit Schreibutensilien und Buchrollen, an der Zunahme von Papyrusfunden wird die Ausweitung der Buchproduktion erkennbar. Die Gymnasien verloren ihren ausschließlich auf die Sozialisation der Jugend in den Bürgerverband bezogenen Charakter. Sie wurden Bildungsinstitutionen, in denen die Bedeutung von Lektüre und Wissensvermittlung zunahm, wie an der Einrichtung von Hörsälen und an der Verpflichtung der Epheben zu Bücherspenden wie auch zum Besuch philosophischer Vorlesungen kenntlich wird. Was Rom anbelangt, so fand die griechische Entwicklung ihre Entsprechung in der Entstehung von Schulen, der Anlage von Bibliotheken und Bildergalerien griechischer Dichter und Gelehrter in den senatorischen und ritterlichen Villen.

II. Ziele und Vorgehen

Ziel einer neuerlichen Beschäftigung mit der genannten Thematik wird es sein, die allmähliche Integration der Philosophie in die höhere Jugendbildung vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und politischen Wandels der hellenistischen Zeit und umgekehrt die Auswirkungen jener intellektualisierten Jugendbildung auf den gesellschaftlichen Wandel sowie auf die Geschichtsschreibung und die pragmatischen Wissensdisziplinen wie die Rhetorik und die entstehende römische Jurisprudenz anschaulich zu machen. Dabei wird der Hellenismus als eine Epoche der fundamentalen Veränderung der griechisch-römischen Wissenskultur verstanden, die bis zum Ende der Antike in den Institutionen, Medien und Sachkultur von Erziehung und Bildung fortlebte.

Grundlage des Projekts wird die systematische Erfassung des weitverzweigten Quellenmaterials sein. Die philosophischen und rhetorischen Schriften, die einschlägigen biographischen und autobiographischen Zeugnisse, die Schriften zu den einzelnen Wissensdisziplinen und ihrer Entwicklung, die Geschichtsschreibung, inschriftliche (IG, IK, SEG) und papyrologische Zeugnisse (PHerc, POxy) über das Schulwesen und den Status der Vermittler intellektueller Bildung (etwa in Grabgedichten und Danksagungen von Schülern an ihre Lehrer), nicht zuletzt die archäologischen Monumente (Gymnasien und Schulgebäude, Grabmonumente, -reliefs und -statuen, Bilderschmuck privater und öffentlicher Gebäude, Terrakotten und Gemmen) und schließlich auch die literarischen Zeugnisse zum technischen Wissen der Buchherstellung, zum Buchhandel und Bibliotheksbesitz sollen gesammelt und unter den angegebenen Fragestellungen ausgewertet werden.

Die Untersuchung soll zunächst auf die Betrachtung der Wissensbildung in den griechischen Städten beschränkt bleiben. Auch wenn die hellenistischen Herrscher sicherlich einen großen Anteil an der Aufspaltung der Philosophie in einzelne Fachwissenschaften (Erfahrungs- und Naturwissenschaften) hatten, soll ihr Beitrag zur Entwicklung der griechischen Wissenskultur, insbesondere ihre nachhaltige Förderung der Erfahrungs- und Naturwissenschaften, nur insoweit geschildert werden, als es zur Kontrastierung der Wissenskultur in den Städten erforderlich erscheint.

Die Betrachtung der Ausbildung und Entwicklung der einzelnen Zweige der Naturwissenschaften, die im Hellenismus wie auch sonst in der Antike im Rahmen der allgemeinen Erziehung eine untergeordnete Rolle spielten, soll in diesem Teilprojekt auf die Frage nach deren Beitrag zur Professionalisierung und Spezialisierung des antiken Gelehrtentums beschränkt bleiben. 

benutzte Materialien:
 
 

Status:
 


Erfassungsdatum: 27. 11. 2000
Korrekturdatum: 02. 04. 2004