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HBO Datenbank - Bericht

Autor: Weiss, Gabriele
Titel: Weder Klassiker noch Aussenseiter
Erscheinungsjahr: 2000
zusätzl. Angaben zum Autor: Universitaet Potsdam
Text des Beitrages:

Man mag ueber den Sinn oder Unsinn der (Um-)Frage nach den "paedagogisch wichtigsten, wirkungsmaechtigsten, anregendsten, interessantesten und gelehrtesten Buechern" der paedagogischen Zunft im 20. Jahrhundert geteilter Meinung sein. Ist die (Um-)Frage jedoch einmal gestellt und liegen deren Resultate vor, besteht ein grosses Interesse, dazu Naeheres zu erfahren. So war die Resonanz anlaesslich einer Tagung am 27. Oktober 2000 in den Raeumen der Berliner Bibliothek fuer Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) gross. Dort wurden die zehn Buecher vorgestellt, die als die wichtigsten benannt wurden.
Initiiert, unterstuetzt und organisiert wurde die Erhebung, ein damit verbundenes Ausstellungsprojekt sowie die Tagung selbst von der BBF (Leitung: Christian Ritzi), der Sektion Historische Bildungsforschung und dem Vorstand der DGfE.

Einleitend praesentierte Klaus-Peter Horn die ermittelten "Klassiker und Aussenseiter", so der Titel der Veranstaltung, und zeigte mit statistischen Mitteln differenzierte Facetten und Aspekte des Ergebnisses, die bei einem oberflaechlichen Blick auf die Hitliste verborgen blieben. Da wurden Aussenseiter zu Klassikern und Klassiker zu Aussenseitern, und wer sich dennoch nicht mit dem Ergebnis einverstanden fand, konnte sich daran beteiligen, die Repraesentativitaet der Umfrage in Zweifel zu ziehen. Denn im Gegensatz zu dem Interesse an der Antwort auf die Frage nach den paedagogisch bedeutsamen Buechern des 20. Jahrhunderts waren von 1600 persoenlich angeschriebenen DGfE-Mitgliedern nur 168 gewillt, diese Frage zu beantworten.
Neben der Vorstellung und Interpretation der Hitliste widmete sich die Tagung in ihrem weiteren Verlauf der Praesentation der Top-Ten der meistgenannten Werke. Dabei wurden kurz die Autoren vorgestellt, das Buch und sein Inhalt sowie die Rezeptionsgeschichte.

Heidemarie Kemnitz: A. S. Makarenkos: "Der Weg ins Leben" (Platz 10)
Gernot Barth: M. Horkheimer/T. W. Adorno: "Dialektik der Aufklaerung" (9)
Katharina Rutschky: A. S. Neill: "Theorie und Praxis der antiautoritaeren Erziehung" (8)
Juergen Zimmer: P. Freires "Paedagogik der Unterdrueckten" (7)
Meike Baader: E. Key: "Das Jahrhundert des Kindes" (6)
Hans-Georg Herrlitz: H. Roth (Hrsg.): "Begabung und Lernen" (5)
Margret Kraul: H. Nohl: "Die paedagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie" (4)
Eva Matthes: Th. Litt: "Fuehren und Wachsenlassen" (3)
Andreas von Prondczynsky:J. Dewey: "Demokratie und Erziehung" (2)
Ingrid Lohmann: S. Bernfeld: "Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung" (1)

Auffaellig ist, dass kein Werk eines ostdeutschen Autors als ‚wirkungsmaechtig` befunden wurde, selbst unter den ersten Hundert gibt es keine Nennung. Das Ausblenden der ostdeutschen Paedagogik wurde auch zum Diskussionspunkt der Tagung, da einige der Referenten die Frage nach einer Rezeptionsgeschichte in der DDR voellig ausser Acht liessen. Die an jeden Vortrag anschliessende Diskussion offenbarte - mitunter emotional - das Erstaunen, Unverstaendnis und Unbehagen ueber die Plazierungen einiger Werke. In diesem Zusammenhang erhaertete sich die Vermutung der Initiatoren, dass die Frageboegen wesentlich von einer Generation beantwortet wurden, die in den 60er und 70er Jahren studiert und erste Forschungsaktivitaeten entfaltet hatten. Eine Umfrage unter heute Studierenden und Promovierenden wuerde sicherlich ganz andere Ergebnisse hervorbringen. Obwohl und gerade weil mit der Tagung noch keine Klaerung erfolgte, ob es sich bei dem Projekt trotz aller methodischen Bedenken um einen hilfreichen Beitrag zur Feststellung der fuer die Paedagogik und Erziehungswissenschaft wichtigsten Veroeffentlichungen des 20. Jh. handelt, sollte intensiv ueber den Sinn und die Art von Folgeprojekten nachgedacht werden.

Gabriele Weiss (Potsdam)

Erfassungsdatum: 03. 01. 2001
Korrekturdatum: 02. 04. 2004