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HBO Datenbank - Bericht

Autor: Horn, Klaus-Peter
Titel: Erziehungswissenschaft in Mitteleuropa. Aufklaererische Traditionen - deutscher Einfluss - nationale Eigenstaendigkeit
Erscheinungsjahr: 2001
zusätzl. Angaben zum Autor: Humboldt-Universitaet zu Berlin
Text des Beitrages:
 

Unter diesem Titel fand vom 8. bis 11. Oktober 2000 ein internationales Symposion in Budapest und Keszthely (Ungarn) statt. Das Symposion wurde veranstaltet von der Subkommission Historische Erziehungswissenschaft in der Kommission Erziehungswissenschaft an der ungarischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Dr. András NÉMETH (Eötvös-Loránd-Universität Budapest), Dr. habil. Béla PUNKÁNSZKY (Universität Szeged) sowie Prof. Dr. Heinz-Elmar TENORTH und Dr. Klaus-Peter HORN (Humboldt-Universität zu Berlin).
In folgenden 17 Vorträgen wurden die Themen der Tagung vorgestellt:
Heinz-Elmar TENORTH: Erziehungswissenschaft in Mitteleuropa
Brita RANG: Niederländische Pädagogik und die Aufklärung
Hanno SCHMITT: Die Pädagogik der Philanthropen
Katalin FEHÉR: Die aufklärerischen pädagogischen Bestrebungen in Ungarn
Rotraud CORIAND: Die Herbartianer und Herbarts "Plan einer allgemeinen Pädagogik" 
Klaus-Peter HORN / Heinz-Elmar TENORTH: Erziehungswissenschaft in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Heinz RHYN: Die Pädagogik in der Schweiz
Wolfgang BREZINKA: Pädagogik an den österreichischen Universitäten bis 1945
Andreas von PRONDCZYNSKY: Ethische Kultur, Neue Erziehung, Monismus: Reformbewegungen, soziale und pädagogische Diskurse in Österreich und Deutschland zwischen 1890 und 1938
Karel RYDL: Pädagogisches Denken in Böhmen im 19. und 20. Jahrhundert unter internationalen Gesichtspunkten
Klaus-Peter HORN: Zur Rezeption ungarischer Pädagogik in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Eva SZABOLCS: Die Rezeption der deutschen Pädagogik in den ungarischen pädagogischen Fachzeitungen
András NÉMETH: Pädagogik an der Universität Budapest
Bela PUKÁNSZKY: Pädagogik an der Universität Szeged
György MIKONYA: Pädagogik an der Universität Pécs
Tamás VINCZE / Anett ÁDÁM: Pädagogik an der Universität Debrecen
Andrea MOLNÁR / Alice DOMBI: Reformpädagogik und außeruniversitäre experimentelle pädagogische Bestrebungen in Ungarn
In seinem Eröffnungsbeitrag umriss H.-E. TENORTH die Problematik des Konzepts "Mitteleuropa", wies aber auch auf Gemeinsamkeiten im Stil der administrativen Ordnung des Bildungswesens, der Form der professionsinternen Diskussion und Qualifizierung und die Dominanz der Professionsreflexion hin, die für zahlreiche Länder Mitteleuropas (Deutschland, Österreich, Böhmen, Ungarn, Polen) festgehalten werden können. Damit verbunden ist zugleich eine Oppositionsstellung
gegenüber dem liberalen Westen. Mitteleuropa ist also nicht nur ein geographischer Begriff, sondern verweist auf grundlegende Denk- und Organisationsgemeinsamkeiten, deren Ursachen zu ergründen sind.
Ohne auf die Einzelbeiträge detailliert einzugehen, sollen im Folgenden die zentralen Ergebnisse und offenen Fragen der Tagung angesprochen werden. Im Hinblick auf Mitteleuropa erscheint einerseits eine Ausweitung des Spektrums der Länder, die in den Blick genommen werden, ratsam, auch im Hinblick auf die Außenperspektive der westlichen Länder Frankreich und Großbritannien. Anderer-seits erweist es sich als nötig, die historischen Phasen und die wechselnden Rezeptionsschwerpunkte genauer in den Blick zu nehmen. In den Beiträgen zur ungarischen Erziehungswissenschaft, die neben den Beiträgen zur Entwicklung des pädagogischen Denkens und der Erziehungswissenschaft in Deutschland einen Schwerpunkt der Tagung ausmachten, wurde der starke Einfluss der deutschen Tradition, aber auch die Hinwendung zu westeuropäischen Modellen sichtbar. Hier müsste noch genauer geklärt werden, inwieweit der bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts dominante deutsche Einfluss möglicherweise die Rezeption französischer oder angelsächsischer Theorien und Modelle behindert und beeinflusst hat.
Die Frage nach der Rezeption erweist sich von daher auch als die Schlüsselfrage, deren Beantwortung sich jedoch als außerordentlich schwierig erweist. Schon im 18. Jahrhundert waren nationale Pädagogiken nicht gegeneinander abgeschottet (dies zeigt sich auch in der sehr interessanten Buchsammlung der Herzogsfamilie FESTETICS im Schloss Kezthely, in deren Beständen u.a. ROUSSEAU und LOCKE, aber auch das Revisionswerk der deutschen Philanthropen vorhanden sind, vgl. http://www.8ung.at/ungarninfo/schloesser/sch_kesz.htm ). Wenn man in diesem Rahmen von Einfluss und von nationaler Eigenständigkeit spricht, ist das Verhältnis von Einfluss und Eigenständigkeit zu klären.
Wie weit reichte der deutsche Einfluss tatsächlich? Wann beginnt Rezeption? Welche Grade von Rezeption gibt es? Wo endet oder beginnt nationale Eigenständigkeit? Und vor allem: woran und wie misst man das alles? Dies sind Fragen, die die Tagung als basso continuo begleitet haben.
Nach der Darstellung der Aufklärungspädagogik in den Niederlanden und in Deutschland, wurde über die "aufklärerischen pädagogischen Bestrebungen" in Ungarn berichtet. Dabei wies die Referentin immer wieder auch darauf hin, dass einschlägige deutsche Bücher in ungarischen Bibliotheken vorhanden waren und dass ungarische Pädagogen nach Deutschland reisten. Es stellt sich aber die Frage, ob die Lektüre deutscher Texte und die Bekanntschaft mit deutschen Pädagogen und Institutionen schon als Rezeption anzusprechen sind. Ähnliches kann man für den Herbartianismus oder für die Theorien Schleiermachers fragen.
So ist auch zu klären, ob sich hinter den gleichen Wörtern und Begriffen in unterschiedlichen Kontexten tatsächlich dasselbe verbirgt. Schon die Übersetzung verändert manchmal den Sinn, denkt man insbesondere an den deutschen Begriff "Bildung". Dass Reformgruppierungen in Österreich und Deutschland um die Jahrhundertwende trotz des ihnen gemeinsamen Rekurses auf eine ethische Kultur und den Monismus sehr unterschiedlich waren, zeigt einmal mehr, dass mit dem Verweis auf vermeintlich identische zentrale Begriffe die Differenziertheit eher verdeckt statt offengelegt wird. Rezeptionsforschung kann sich nicht darin erschöpfen, aufzuzählen, was wahrgenommen (gelesen) wurde, sondern muss tiefer in die Argumentationen und Praxen eindringen, um herauszufinden, welche verschiedenen Anteile vorhanden sind und wie fremde Gedanken verarbeitet werden.
Die Beiträge der Tagung werden so bald wie möglich publiziert. Darüber hinaus ist geplant, die gemeinsame Arbeit fortzuführen und zu erweitern.

Erfassungsdatum: 26. 01. 2001
Korrekturdatum: 02. 04. 2004