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HBO Datenbank - Projekt

Projektleiter, Anprechpartner: Blattner, Tanja
Name des Projektes: Der Ausbau des württembergischen Realschulwesens unter dem Innen- und Kultusminister Johannes von Schlayer (1835-1848).
Vorauss. Abschluss: 2002
Anschrift, Institut: Realschullehrerin
Darstellung des Forschungsvorhabens:

 Die Arbeit zeigt auf, wie im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts nach bescheidenen und zunächst noch unkoordinierten Einzelaktionen in Württemberg ein systematischer Ausbau des Realschulwesens zu einem alternativen und zum Teil auch komplementären Schulzweig eingeleitet und im wesentlichen erfolgreich abgeschlossen wurde.
Auch in Württemberg zeigte sich wie in den meisten der 35 selbstständigen Staaten des damaligen "Deutschen Bundes", dass die aufkommende Industrialisierung und die wachsende Emanzipation des Bürgertums einen neuen Schultyp erforderlich machten; denn die sogenannten gelehrten Schulen mit ihrer einseitigen humanistischen Ausrichtung konnten der gesteigerten Professionalisierung der technischen und wirtschaftlichen Berufe nicht die nötige Grundausstattung vermitteln. Die Voraussetzungen für diese neue Schulart waren in den einzelnen Staaten aufgrund jeweiliger schulischer Tradition, staatlicher und wirtschaftlicher Infrastruktur sowie des schulpolitischen Gestaltungswillens jedoch recht unterschiedlich.
Beim Zusammenspiel dieser Wirkkräfte ergab sich für Württemberg ein Sonderweg, der dazu führte, dass die dortige Realschule zu einer alternativen, im Grunde jedoch zu einer komplementären Schulform heranwuchs. Die Realschule war und blieb in Württemberg im ganzen 19. Jahrhundert eine Sonderform der höheren Schule - jedoch ohne elitäre Exklusivität. Auch als höhere Schule blieb sie Bürgerschule; dies hängt damit zusammen, dass seit der Reformation die humanistischen Schulen Württembergs immer auch Bürgerschulen für den nicht studierfähigen und -willigen Nachwuchs nichtakademischer Berufe waren. Das alte "Herzogthum Wirtemberg" war im früheren "Deutschen Reich" der einzige Staat, in dem - im Schoß der evangelischen Kirche - ein flächendeckendes und nach einheitlichen Standards gelenktes höheres Schulwesen herangewachsen und in jahrhundertlanger Tradition tief im Volk verwurzelt war. Für die aufkommende Realschule war dies in sofern ein Vorteil, als sie sich an das traditionelle Schulsystem anlehnen konnte; nachteilig war jedoch die Schwierigkeit, sich vom herkömmlichen System abzunabeln. In dieser Gemengelage versuchte die Regierung durch einen großangelegten Schulentwicklungsplan einen behutsamen schulpolitischen Reformkurs einzuschlagen. Schon aus staatsökonomischen Gründen sollte die Einheit des höheren Schulwesens erhalten bleiben. Hierbei sollte der Kernbereich humanistischer Bildung mit einem stark reduzierten Angebot weiterbestehen; die hierbei freigesetzten Ressourcen aber sollten dem neuen Schultyp Realschule zugeführt werden. Im Ergebnis sollte an jedem der 100 Schulorte nur eine höhere Schule vorhanden sein. In ungefähr der Hälfte der Schulorte sollten dies Realschulen sein, wovon die meisten durch Umwandlung traditioneller Lateinschulen entstehen sollten. Diese Umstrukturierung des höheren Schulwesens war von vornherein als elastische Reform in kleinen Schritten angelegt. Durch Überzeugungsarbeit und finanzielle Anreize sollte die Realschule als moderne Alternative zur Lateinschule im Volk verwurzelt und die örtlichen Entscheidungsträger zum schulpolitischen Umdenken gestimmt werden.
Im Sinne des ursprünglichen Planes ist diese Reformpolitik gescheitert, da die traditionellen Kräfte auf die umwandlungsfähigen Lateinschulen nicht verzichten wollten. Sie ist aber auf andere Weise im Ergebnis doch gelungen, weil ein Modernitätsschub dazu geführt hat, dass eine flächendeckende Versorgung des Landes mit Realschulen nicht durch Umwidmung von Lateinschulen, sondern durch Neugründungen als zweite Säule des höheren Schulwesens dauerhaft etabliert wurde. Der Grundsatz: "nur eine höhere Schule an einem Schulort", ließ sich nicht aufrecht erhalten. Aber die beiden Schultypen waren sowohl örtlich als auch im überörtlichen Gesamtsystem eng miteinander verzahnt.
Dieses Forschungsergebnis steht in krassem Widerspruch zu der in der Schulgeschichtsforschung vertretenen Meinung, in Württemberg sei die Realschule mittlere Schule gewesen, die der Regierung vom Bürgertum abgerungen werden musste.

benutzte Materialien:

 · Hauptstaatsarchiv Stuttgart: Königliche Kabinettsakten 
Die einschlägigen Akten des Kultusministeriums und der ihm unterstellten Schulaufsichtsbehörde "Königlicher Studienrath" sind vernichtet; sie können nur teilweise durch die königlichen Kabinettsakten ersetzt werden.
· Staatsarchiv Ludwigsburg: 
Auszüge aus örtlichen Schulakten, soweit sie früher von der Schulaufsichtsbehörde nach dem Pertinenzprinzip geordnet wurden. Insgesamt müssen die Akten von 100 Schulorten mit ca. 150 Schulen durchgekämmt werden.
· Zeitgenössische Veröffentlichungen in Regierungsblättern, Gesetzessammlungen und amtlichen Staatshandbüchern

Status:

 Dissertation bei Professor Dr. H.-U. Grunder, Direktor des Instituts für Erziehungswissenschaft, Abteilung für Schulpädagogik, Universität Tübingen
 

Zusätzliche Erläuterungen:
Die Arbeit schließt sich thematisch an meine Veröffentlichung "Anfänge und Aufbau des württembergischen Realschulwesens (1783-1834)" an, die - mit einem ministeriellen Vorwort versehen - vom Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart herausgegeben wurde. (Materialien Realschule, RS 26, April 2000)

Erfassungsdatum: 06. 04. 2001
Korrekturdatum: 02. 04. 2004