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HBO Datenbank - Projekt

Projektleiter, Anprechpartner: Waiden, Andreas
Name des Projektes: Die Utopie des Leibes
Vorauss. Abschluss: 2002
Darstellung des Forschungsvorhabens:

 Die Weisen, wie "pädagogische Beziehungen" gelebt und gestaltet sein können, unterlagen historisch nicht nur mancherlei Wandlungen, sondern auch meist ebenso heftigen Auseinandersetzungen und Anfeindungen, ist mit dem "pädagogischen Bezug" doch ein ideengeladenes Menschen- und Kindheitsbild angesprochen, das des realen und leibhaften Bezuges zum Zögling nicht entraten kann. Von daher wird das Problem der Leiblichkeit, der eigenen wie der des anderen, stets virulent bleiben, und seine Latenz auch und gerade in der Form der Ausklammerung oder Verleugnung jeder sinnlichen Komponente bewahren, deren Ausmerzung eines der zentralen An-liegen moderner Pädagogik werden sollte.
Jenem "blinden Fleck", dem "ausgesparten" Bereich pädagogischen Bemühens, gilt denn auch das eigentliche thematische Interesse dieser Arbeit.
Sie soll einsetzen mit der Nachzeichnung der Geschichte der erziehenden Beziehung zum Leib des Zöglings in der Antike und der ihrer folgenden Stationen: der theologisch inspirierten Hinwendung zum kindlichen Leib als Quell der Sünde, des Wandels der Leibauffassung im Zuge des protestantischen Asketismus, der Emer-genz eines neuen Kindheitsbegriffes der "modernen Pädagogik" und der mit ihr ein-her gehenden Elimination der erotischen Komponente des pädagogischen Bezuges im Zuge der Antimastubationspädagogik und des mit ihr verschwisterten Kampfes gegen die "widernatürliche Unzucht", unter deren Begriff der pädagogische Eros schließlich den Ort seiner Subsumtion finden sollte.
Die Elimination des Leibes aus dem Leben der heranwachsenden Generation sollte unter dem Zeichen von "Onanismus", "Inversion", "venerischer Durchseuchung" und der "Zersetzung der Nation" schließlich zur elementaren Lebenswirklichkeit der He-ranwachsenden in der Zeit um die Jahrhundertwende avancieren. Gleichzeitig sollten in jener Zeit eines elementaren Umbruches der Gesellschaft auf kulturellem, ökono-mischen und sozialen Gebiet auch die althergebrachten Anschauungen über staatliche Autorität, Religion, Kunst, Wissenschaft, Pädagogik, über die pädagogischen Beziehungen und die Kultur des menschlichen Körpers sich verflüssigen und die neu entstehenden gesellschaftlichen Bewegungen die Facetten der Bandbreite eines Leibverständnisses bereitstellen, das bis heute noch die Züge einer revolutionären Utopie, einer pädagogischen zumal, in sich beschließt, und die zu rekonstruieren zentrales Anliegen der Arbeit sein soll.
Während die "Deutschtumbewegung" das Postulat einer Erziehung zur Erneuerung der Zivilisation aus der Verschmelzung germanischer und antiker Traditions-gründe formulierte und nicht zuletzt die erotische Konnotation völkisch inspirierter Männerfreundschaften in ihren vielfältigen Schattierungen wiederbelebte, Wilhelm von Gloedens begeisterte Feier eines hellenischen, ephebophilen Arkadiens Eingang ebenso in die bürgerlichen Wohnstuben des Reiches wie die sich formierende Ho-mophilenbewegung fand, nymphenhafte Geschöpfe Fidus` Geist und Lebensgefühl der Jugendbewegung prägten, der deutsche Expressionismus dem sinnhaft aufgeladenen Leib junger Frauen und Mädchen huldigte (und eine ebenfalls zu rekonstruierende verborgene Traditionslinie fortführte, die sich von antiker skulpturaler Kunst, über die Kunst der italienischen Renaissance bis hin in die Moderne ziehen sollte), und sich Lebensreform und Jugendbewegung, und explizit, die Nacktkulturbewegung in der Einübung eines neuen, befreiten Körpergefühles übten, hatte auch die im engeren Sinne pädagogische Bewegung einen neuen Bezug zum Leib gefunden.
Seine Bandbreite reichte von einem gemeinsamen Leben und Lernen von Lehrern und Schülern in vollständiger Nacktheit, über eine natürliche, auch die Sinnlichkeit anerkennende Nacktheit in den intimen Lebens- und Lerngemeinschaften der Land-erziehungsheime unter dem Zeichen des pädagogischen Eros, der mit der Wiederbelebung des antiken Erziehungsverständnisses eine Blüte erfahren sollte.
All diese Bewegungen trugen auf ihre Weise zu einer utopisch gefärbten Morgendämmerung des Leibes und seiner Erziehung bei, die schließlich den nahenden Krieg nicht überleben und den Nachkriegsgenerationen fremd bleiben sollte.
Gleichwohl vermag die Rekonstruktion des Schicksals der Utopie des Leibes die Diskussion der Frage einer wiederkehrenden Sinndimension des Leibes oder der Liquidation eines auf den Leib gerichteten Sinnpostulates eröffnen helfen.

benutzte Materialien:

 · Internationale FKK Bibliothek (IFB- Kassel)
· Archiv der deutschen Jugendbewegung (Burg Ludwigstein)
· Archiv der deutschen Frauenbewegung (Kassel)

Status:

 Dissertation, Universität Tübingen, Prof. Dr. H.-U. GRUNDER
 
 

Erfassungsdatum: 14. 01. 2002
Korrekturdatum: 02. 04. 2004