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HBO Datenbank - Rezension

Rezensent(in): Grunder, Hans-Ulrich
Rezensiertes Werk: Das öffentliche Bildungswesen : historische Entwicklung, gesellschaftliche Funktionen, pädagogischer Streit / hrsg. von Hans Jürgen Apel, Heidemarie Kemnitz, Uwe Sandfuchs. - Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verl. 2001. - 336 S., ISBN 3-7815-1165-0
Erscheinungsjahr: 2003
zusätzl. Angaben zum Rezensenten:
Prof. Dr. Hans-Ulrich Grunder
Universität Tübingen, Abteilung Schulpädagogik
Münzgasse 22
D-72070 Tübingen
Tel. 0049 7071 2978314
Fax 0049 7071 295871
hans-ulrich.grunder@uni-tuebingen.de

Text der Rezension:
 

Der anzuzeigende Band enthält die anlässlich der 1999 stattgefundenen Jahrstagung der Sektion Historische Bildungsforschung der DGfE zur Geschichte des "öffentlichen Bildungswesens" vorgelegten Beiträge. Das Herausgeberteam hat sich bemüht, die Texte sinnvoll zu gruppieren, was zwar gelingt, jedoch einige abrupte thematische Übergänge nicht verhindern kann.
Trotz dieses Vorbehalts, den Tagungsdokumentationen meistens hervorrufen, empfiehlt sich die Lektüre der abgedruckten Aufsätze, die in den einleitenden Bemerkungen der Herausgeber vor dem Hintergrund einer derzeit nicht gerade blühenden Historischen Bildungsforschung situiert werden. Denn abgezielt wird auf die Darstellung von sowohl kurzfristigen Prozessen als auch auf die Perspektive der "longue durée" im öffentlichen Bildungswesen, die "immer im Kontext gesellschaftlicher Funktionalität verlaufen" (S. 10). Damit rücken insbesondere Entwicklungshemmnisse und -anstöße im Bereich der öffentlichen Bildung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Über die Kategorien "gesellschaftliche Funktionen" und "pädagogischer Streit" soll die Entwicklung des öffentlichen Bildungswesens "sinnvoll erhellt und erschlossen" (ebd.) werden. Dieser Versuch erfolgt in vier "Anläufen", welche die Einteilung des Bandes abbilden.

Zunächst geht es um "Systemdynamik und Systemreflexion", wo die Periodisierung des Bildungswachstums in der Moderne (Nath, S. 14-48), das "deutsche Bildungswesen im 19. und 20. Jahrhundert" (Drewek/Tenorth, S. 49-83) und die Frage, ob universalistische Bildungssysteme repartikularisiert würden (Zymek, S. 84-102) erörtert werden.

Im Abschnitt "Regionale Strukturbildung" stehen die von Geistlichen beförderte Schulreform in Würzburg und Passau im 18. Jahrhundert (Laudenbach, S. 103-124), die "Reform der Elementarschulen in der Provinz Brandenburg" im frühen 19. Jahrhundert (Schmitt, S. 125-139), die Kontroverse um das humanistische und realistische Gymnasium (Apel, S. 140-155), die "Entwicklungsmuster gymnasialer Bildung" in Brandenburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Tosch, S. 156-176) und die Entwicklung des öffentlichen Bildungswesens in Österreich (Engelbrecht, S. 177-190) zur Diskussion.

Im dritten Abschnitt geht es um "Mädchenschulen und Frauenbildung" - um das elementare Mädchenschulwesen "zwischen traditioneller und bürgerlicher Schulerziehung" (Fiegert, S. 191-201), um die "Höhere Mädchenschule in Preussen zwischen 1848 und 1918" (Hansen-Schaberg, S. 202-217), um die Verstaatlichung der Mädchenschulen in Bremen 1922 (Drechsel, S. 218-231) und um "Helene Langes Beitrag zur Entwicklung des öffentlichen Bildungswesens ins Preußen" (Matthes, S. 232-247).

Im abschließenden Abschnitt werden "Argumente und Diskurse" der "realen Entwicklung" gegenübergestellt. Themen sind das politische Elend der philanthropischen Pädagogik (Sünkel, S. 248-255) und "Diesterwegs ‚Hamburger Schulplan`" (Hohendorf, S. 256-262), die Argumente, welche zur "Institutionalisierung des Systems beruflicher Bildung" in Preußen (1870-1919) geführt haben (Schütte, S. 263-273), die Diskussion um das Privatschulwesen anlässlich der Reichsschulkonferenz (Wigger, S. 274-289), die "Tätigkeit und Wirksamkeit der ‚Abteilung für Erziehungs-Wissenschaft und Jugendkunde` der Erfurter Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften im städtischen Schulwesen" um 1920 (Lesanovsky, S. 290-308), Sprangers Stellung im Spektrum des Weimarer Konservativismus` (Schlüter, S. 309-321) und der "Umgang mit Minderheiten in der öffentlichen Schule der DDR" (Griese, S. 322-334).

Die vielfältigen Herangehensweisen an die thematisierten Sachverhalte vor dem Hintergrund des ausgewählten Blickwinkels belegen zugleich, wie ergiebig die historische Argumentation ist und wie kurzsichtig sich eine heute oft historisch blind agierende Bildungspolitik ausnimmt. Wer bildungsgeschichtlich interessiert ist, sollte demzufolge dieses Buch ebenso lesen wie bildungspolitisch Verantwortliche. Nur der Blick in die Geschichte des Bildungswesens legt dessen Reformpotential frei.

Erfassungsdatum: 09. 01. 2003
Korrekturdatum: 09. 01. 2003