Text der Rezension: |
Wer Hans und Rosemarie Ahrbeck aus
eigenem Erleben näher oder ferner
gekannt hat, wird sich über diese kleine Publikation freuen, sie
zumindest nicht für unangemessen halten. Bei anderen kann sie -
vielleicht - Interesse wecken, entspricht sie doch so gar nicht der
postmodernen Kühle und Distanz im wissenschaftlichen Umgang mit
Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Im Gegenteil - die meisten der
hier versammelten Autorinnen und Autoren scheuen sich nicht, in Hans und
Rosemarie Ahrbeck "Vorbilder im klassischen Sinn" (Olbertz, S. 13)
zu sehen und sich zu Werten zu bekennen, die im wissenschaftlichen
Werteverständnis zunehmend aus der Mode zu kommen scheinen:
Sympathie, Verehrung, Dankbarkeit und vor allem Respekt für zwei
Wissenschaftler, die im mehrfachen Sinn Schule gemacht haben.
Es mag sein, dass der nicht unbedingt übliche Anlass der
in der
Publikation wiedergegebenen Veranstaltung, - ein Ehrenkolloquium zum
20. Todestag des Ehepaares Ahrbeck im April 2001, weitgehend initiiert und
getragen von ehemaligen Schülern, Mitarbeitern und Weggefährten
-,
dies zusätzlich unterstüzte. Und es mag sein, dass die Umstände
des
April 1981, namentlich die durch den Freitod Rosemarie Ahrbecks ausgelöste
Betroffenheit, noch immer nachwirken. Auch der vorliegende Tagungsband bietet
keine biographischen Entschlüsselungen. Erzählend,
erinnernd, reflektierend, analysierend finden in gutem hermeneutischen Sinn
bestenfalls Näherungen an gelebtes Leben statt, werden Fragen
aufgeworfen, rasche Antworten und Wertungen vermieden und zugleich
Perspektiven für Forschungen eröffnet.
Hans Ahrbeck, Jg. 1890, gehörte nach der Befreiung Deutschlands von
Faschismus zur Gründergeneration der Lehrerbildung und der
Pädagogischen Wissenschaften in der damaligen sowjetischen Besatzungszone
und sSpäteren DDR. Seine wissenschaftliche Wirkungsstätte war,
wie die seiner um mehr als drei Jahrzehnte jüngeren zweiten Frau Rosemarie,
geb. Wothke, Jg. 1926, die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Für beide verwob sich an diesem Ort Biographisches mit der Gesellschafts-
und Wissenschaftspolitik der DDR und ihrer konkreten Ausprägung an der
Hallenser Universität. Der vorliegende Band dürfte somit - über
die biographische Rekonstruktion hinaus - auch für andere Geschichtsbereiche
anregend sein - nicht zuletzt für eine Sozialgeschichte der Wissenschaften
(oder auch der Erziehungswissenschaften) in der DDR. Er verrät manches
über Leben in der DDR und - nicht minder - über die heutigen Berichterstatter
und ihre verschiedenen Arten, Vergangenes zu erinnern.
Die auf dem Kolloquium vorgetragen und die in den Sammelband
ergänzend aufgenommenen Texte folgen keinem strengen inhaltlichen Konzept.
Eher stellen sie Momente und Aspekte zweier miteinander verflochtener, aber
zugleich ihre Autonomie offenbarende Wissenschaftlerbiographien dar, die
als Ganzes und im Detail erst noch zu schreiben sind.
Jan-Hendrik Olbertz hebt in seiner Eröffnungsrede besonders Hans
Ahrbecks Verdienst um die Konstituierung der Pädagogischen Fakultät
in Halle hervor und setzt zugleich deutliche Akzente: "Diese
Fakultäts-Neugründungen nach dem Krieg waren gerade in ihrem Anfang
ungeachtet aller politischen Zwecksetzungen konzeptionelle und
strukturelle Innovationen für die Entwicklung des Bildungswesens
(insbesondere der Universität), die sie über Jahrzehnte prägten
und deren Spuren, im Guten wie im eher Schwierigen, noch heute
nachvollziehbar sind. Jedenfalls kann sich keines der heutigen
Institute gut auf ein eigenes Profil verständigen und eine institutionelle
Identität entwickeln, wenn es sich nicht auch seiner jüngeren
Geschichte vergewissert, die untrennbar an die Nachkriegs- und die DDR-Zeit
geknöpft ist." (S. 10f.)
Sonja Häder beschreibt Hans Ahrbecks "genuin bürgerliche"
familiale Sozialisation und Erziehung in Kindheit und Jugend - disziplinierend,
Schulunlust überwindend, Standesbewusstsein verinnerlichend, Rückzug
ins "Schöngeistige" - idealtypische Voraussetzungen "dieser Wissenschaftlerexistenz"
(S. 21).
Erinnerungen an Hans Ahrbeck als ihren wissenschaftlichen Lehrer präsentieren
Karl-Heinz Günther, in der DDR zuletzt Vizepräsident der Akademie
der Pädagogischen Wissenschaften, Renate Reimann, 1953-58 Assistentin
bei Ahrbeck und später Informatikerin in Basel sowie der 2001 verstorbene
Martin Kühnel, Assistent von 1947-1955, dessen Rede zum 80. Geburtstag
von Hans Ahrbeck in den Band aufgenommen wurde. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher
biographischer Erfahrungen heben alle drei in beeindruckend authentischer
Weise die humanistische Ausstrahlung Ahrbecks hervor, der sich nie als "Marxist"
verstand, Marxismus jedoch als eine Denkmöglichkeit neben anderen akzeptierte,
der Macht und Ideologie
mit Skepsis begegnete und dennoch wohlwollend beobachtend das "gewagte Gesellschaftsexperiment"
begleitete, im höheren Alter mehr dazu
neigend, "dem Sozialismus die größere Chance für ein lebenswertes
Humanum einzuräumen". (S. 25) Diesen von Günther geäßerten
Eindruck
vermag auch Gert Geißler nicht zu entkräften, der in seinem Beitrag
anhand von Archivalien Hans Ahrbecks Haltung in den bildungspolitischen und
pädagogischen Auseinandersetzungen in den vierziger und fünfziger
Jahren untersucht. Beachtung verdient vor allem der Beitrag von Berthold
Ebert über Rosemarie Ahrbeck, und zwar nicht nur deshalb, weil er der
- ja
auch aus anderen Zusammenhängen sattsam bekannten -
Geschlechterasymmetrie entgegenwirkt.
Auch im vorliegenden Band gilt die Mehrzahl der Beiträge dem Mann
Ahrbeck. Ebert versteht es, Rosemarie Ahrbecks Lebensgeschichte
sensibel nachzuzeichnen, dabei Klischees nicht zu bedienen und Neugier auf
eine Persönlichkeit zu wecken, die ganz offensichtlich mehr war als
eine
ästhetisch-kulturvolle Frau (und Elevin) hinter oder neben einem
geistreichen Mann - eine originelle, originäre, anspruchsvolle
Wissenschaftlerin, eine Hochschullehrerin mit hoher Verantwortungsethik,
eine belastbare Frau und autonom bis zu ihrer letzten Entscheidung.
Auch die zusätzlich in den Band aufgenommenen Beiträge sind
aufschlussreich. Berthold Eberts Abhandlung über Jan Amos Comenius
in
der historisch-pädagogischen Lehre Hans Ahrbecks sowie zwei
Aufsätze über August Herrmann Francke, den Begründer der
Anstalt, an deren Ort Hans und Rosemarie Ahrbeck wirkten und über den
beide geforscht haben. Hans Ahrbeck thematisiert hier die Grundlagen der
Erziehungs- und Unterrichtsreform A. H. Franckes (1952), Rosemarie Ahrbeck
A. H. Franckes "Lehrart" (1963).
Bibliographien der Veröffentlichungen beider Wissenschaftler
ergänzen den Band, der auf eine ansprechende Weise unabgeschlossen
bleibt, was auch bedeutet, dass er Anschlussfragen geradezu herausfordert.
Das gilt für die lebensgeschichtlichen Analysen ebenso wie für
die
Universitäts- und Disziplingeschichte und nicht zuletzt für die
Bildungsgeschichte der DDR generell. Welche Bedeutung z.B. kommt der mehrfach
angesprochenen "Bürgerlichkeit" Ahrbecks tatsächlich zu? War sie
im neuen "Arbeiter-und-Bauern-Staat" "Relikt" einer alten
Wissenschaftskultur oder barg sie mit der Hoffnung auf die Chance einer
Verbindung von "Geist und Macht" historisch Neues? Oder: Waren Ahrbecks Wissenschaftsverständnis
und Wissenschaftskarriere ein Spezifikum der Hallenser Universität und
welche Bedeutung käme dem zu?
Ernst Hadermann, Mitbegründer des 1943 in sowjetischer
Kriegsgefangenschaft gegründeten Nationalkomitees "Freies
Deutschland", nach seiner Rückkehr unbestechlich-kritischer Geist
in verschiedenen bildungspolitischen und wissenschaftlichen Ämtern und
ab 1955 Professor für Germanistik in Halle, empfand die Hallenser Universität
keineswegs als unproblematisch: "Hier komme ich mir vor wie ein
Fußballspieler, Stürmer, links außen. Einige Herren mit
durchscheinender brauner Seele haben meinen Parteiaustritt völlig falsch
als Annäherung an
Ihresgleichen mißdeutet. Nachdem ich das zurechtgerückt habe,
bin
ich in ihren Augen ein ganz Linker". Wurde auch Ahrbeck so gesehen bzw.
sah er es auch so? Auch Hadermann verstand die klassische Humanität
"als bewegende Lebens- und Ordnungsmacht, und seine Schüler empfanden,
daß dieser Mann stets versucht hatte, sein Leben in einem humanen Sinn
zu führen. Bildung begriff er im klassischen Sinn: als Menschenbildung".
[1] Zufällige Ähnlichkeiten? Oder Effekte spezifischer politischer,
wissenschaftlicher und personaler Konstellationen, denen dann aber zukünftig
doch stärkeres wissenschaftshistorisches Forschungsinteresse zu gelten
hätte, weil sie Auskünfte über Differenzen und Möglichkeiten
in der universitären Landschaft der DDR zu geben in der Lage wären.
In gleicher Weise beträfe das die "Geschichte der Erziehung" als Wissenschafts-
und Lehrdisziplin in der DDR - noch immer ein
Forschungsdesiderat -, an deren Konstituierung und Paradigmenbestimmung
Hans und Rosemarie Ahrbeck maßgeblich mitwirkten. Sie saßen in
den disziplinären Gremien, gaben Forschung und Lehre offizielle Gestalt
und hinterließen dennoch auch komplexe informelle Wirkungen. Kühnel
fand hierfür Worte von Seneca: "Multum dabis, etiamsi nihil dederis
praeter exemplum (Du gibst vieles, auch wenn Du nichts geben wirst, außer
Deinem Beispiel)". (S. 55) Das Kolloquium und der vorliegende Band sind ein
spezifischer Ausdruck solcher Wirkungen, die allein aus den
archivierten Dokumenten jener Zeit nicht zu erschließen sind.
Es mag sein, dass anderen Kritikern des Kolloquiums und des
vorliegenden Bandes die Kritik zu kurz kommt, und es mag sein, dass das
stimmt. Gleichermaßen kann diese Zurückhaltung vorschneller kritischer
Urteile aber auch als wohltuend empfunden werden, weil so das den meisten
Beiträgen innewohnende Anregungspotential eher gesteigert als
geschmälert erscheint. Das Kolloquium ist einmal mehr Zeugnis und
Exempel für den Zusammenhang von Person und Geschichte, von Verhalten
und Verhältnissen. Er zeigt, welch unterschiedliche Bilder zustande
kommen können, wenn nur der Erinnerung oder nur den Dokumenten
vertraut wird und wie notwendig die dialektische Zusammenschau beider Seiten
ist.
Hans und Rosemarie Ahrbeck agierten in konkreten geschichtlichen
Verhältnissen, zu denen sie sich konkret verhielten. Wie sie dies
taten, war ganz offensichtlich dazu angetan, Bedeutung für andere Menschen
zu erlangen. Vor allem dadurch blieben sie in der Erinnerung, wecken nunmehr
historisches Interesse und fordern die Beschäftigung mit Zeit und Umständen
heraus, von denen wir noch längst nicht glauben
sollten, dass wir sie schon begriffen hätten.
Anmerkung:
[1] Prof. Dr. Ernst Hadermann - ein deutscher Humanist. Zu seinem
100. Geburtstag. Postsdam 1996, S. 37, 17 f.
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