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Die Tagung des Arbeitskreises Vormoderne Erziehungsgeschichte (AVE) in der
Sektion Historische Bildungsforschung der DGfE befaßte sich diesmal
mit einem Thema, dem vor dem Hintergrund aktueller Debatten um Schulautonomie,
stärkere ‚Praxisorientierung‘ in den allgemeinbildenden Schulen und
sogenannte Basiskompetenzen im Gefolge der PISA-Studie eine besondere Bedeutung
zukommt. Die Analyse der „Elementarbildung und Berufs(aus)bildung in und
außerhalb der Schule 1450-1750“ kann einen Beitrag zur kritischen Kontextualisierung
gegenwärtiger Problemstellungen darstellen, indem sie zu einem reflektierten
Urteil über Möglichkeiten und Grenzen von Reformen im öffentlichen
Bildungssystem und von familial organisierter Bildung und Ausbildung beitragen
kann. Sie kann zudem einen Beitrag leisten zur Überprüfung der
‚großen Erzählung‘ (J.-F. Lyotard) von der epochalen Wende durch
die Aufklärung als Tor der Modernisierung (u. a. Verwissenschaftlichung
und Säkularisierung sowie Mentalitäts- und Wertewandel zu rationalen
Prinzipien der Leistung, der Arbeit und des Fortschritts). In mehreren Sektionen
ging die Tagung dem Thema ‚Elementarbildung und Berufs(aus)bildung‘ nach:
1. Handwerker, 2. Kaufleute, 3. Soldaten und Lehrer, 4. Mädchen und
Frauen, 5. Auf dem Lande.
Bereits im einleitenden Vortrag von Alwin Hanschmidt (Vechta) über
„Elementarbildung und Berufs(aus)bildung aus historischer Sicht“ und der
anschließenden Diskussion wurde deutlich, daß das Thema regional
differenziert betrachtet werden muß, ein einheitliches Entwicklungs-
und Reformtempo in Bezug auf die Initiierung und Systematisierung von Bildungseinrichtungen
nicht ausgemacht werden kann. Auch bei Existenz eines landesherrlichen Willens
zur besseren Bildungsversorgung der Bevölkerung lassen sich in Herrschaftsgebieten
oftmals unterschiedliche Entwicklungslinien nachzeichnen, die auf ökonomische
und soziale Unterschiede zurückzuführen sind. Das Bildungsniveau
und das Bildungsinteresse der Eltern waren hier ebenso entscheidend wie die
jeweilige Qualifikation der Lehrer. Die an den meisten untersuchten Orten
vorhandene Vielzahl von „Winkelschulen“ (d. s. nicht unter städtischer
bzw. kirchlicher Aufsicht stehende Privateinrichtungen, i. d. R. auf Elementarschulniveau)
verweist zudem auf ein Bildungsbedürfnis, dem die öffentlichen
Schulen nicht gerecht werden konnten oder wollten. Hier wäre jedoch
u. E. auch darauf hinzuweisen, daß gerade diese Winkelschulen die Herausnahme
einer zahlungskräftigen Klientel aus den kirchlichen Elementarschulen
bedeutete. Nicht unterschätzt werden darf die Absicht einer vermögenden
und gebildeten Elternschaft, die eigenen Kinder milieugerecht und abgetrennt
von ärmeren Bevölkerungsgruppen zu erziehen und auszubilden.
Bezogen auf die konkreten Inhalte und präzisen Verlaufsformen der Berufsausbildung
wurde vom Referenten festgehalten, daß diese aufgrund des bis zum 18.
Jahrhundert vorherrschenden Imitationslernens und der individuellen Organisation
der Lehre durch die Meister bzw. Lehrherrn nur sehr schwer zu erforschen
seien. Diese grundsätzliche Problematik spiegelte sich dann auch in
den Vorträgen: soziale, ökonomische und kulturelle Kontexte der
Berufsausbildung, ihre Ziele und strukturelle Verankerung konnten deutlicher
beschrieben werden als präzise Inhalte, Vermittlungsformen und alltägliche
Verläufe. Gleichzeitig war die kaufmännische Tätigkeit bereits
seit dem Mittelalter durch einen hohen Grad von Schriftlichkeit geprägt.
Der Erwerb von Berufswissen aus Büchern und der Vollzug der Geschäfte
durch (volkssprachliche) Schriftdokumente erforderte und erzeugte im Kaufmannsstand
eine umfassende Lese-, Schreib- und Rechenkompetenz. Dabei war das ‚Lernen
aus Büchern‘ zunächst eine berufliche Tätigkeit der Erwachsenen
und noch nicht als Lernarrangement für die Lehrlinge gedacht. Schließlich
wurde in der Diskussion darauf hingewiesen, daß auch im Zeitalter der
sogenannten ‚Konfessionalisierung‘ die Grenzen der Rechtgläubigkeit
flexibel ausgelegt werden konnten. So gab es in bestimmten Regionen reformierte
Eltern, die aufgrund der Schulqualität ihre Kinder auf katholische Schulen
schickten und deswegen vom Abendmahl ausgeschlossen wurden. Vorgänge
wie diese warfen die Frage nach der realhistorischen Bedeutung der Konfessionalisierung
im 16./17. Jahrhundert auf. Im Verlauf der Tagung wurde mehrfach die Frage
diskutiert, inwiefern Verhaltensformen und Mentalitäten tatsächlich
spezifisch konfessionell geprägt waren oder ob nicht das Nebeneinander
der Konfessionen besondere Gegensätze erzeugte, die weniger konfessionsinhärent
als strategisch-abgrenzend zu interpretieren wären.
Im folgenden Vortrag von Margret Wensky (Bonn) über „Elementarbildung
und Berufs(aus)bildung von weiblichen Handwerkslehrlingen in Köln im
15. Jahrhundert“, der die erste Sektion (Handwerker) einleitete, wurde nochmals
deutlich, wie unsicher die ‚großen Erzählungen‘ von den historischen
Verläufen werden, wenn sie regional- und mikrohistorisch spezifiziert
werden. Selbst wenn die Stadt Köln, Handelsmetropole und größte
Stadt im Reich, nicht den Normalfall städtischer Lebensform und Kultur
darstellte, können die vorgetragenen Ergebnisse doch einen Beitrag zur
Falsifizierung gängiger Vorstellungen von geschlechtsspezifischer Lebensführung
und (Aus)Bildung darstellen. In Köln, einer Stadt mit ungewöhnlich
hohem weiblichen Bevölkerungsanteil, gab es umfassende Möglichkeiten
weiblicher Berufsarbeit. Diese reichten von Hilfsarbeiten über zünftisch
regulierte Ausbildungsgänge bis zu selbständig unternehmerisch
tätigen Frauen im Textil-, Leder- und Bekleidungsgewerbe, die eigenständig
Lehrmädchen annahmen und ausbildeten. Schließlich existierten
darüber hinaus vier eigene Frauenzünfte (Garnmacherinnen, Seidenweberinnen,
Seidenspinnerinnen, Goldspinnerinnen). Aus der Seidenweberinnenzunft sind
aus dem 15. und 16. Jahrhundert die Lehrtöchterbücher erhalten,
die von 116 Lehrfrauen und 765 Lehrtöchtern berichten. Schließlich
ließ sich bei den selbständigen Handwerkerinnen bzw. Unternehmerinnen
zeigen, daß diese häufig mit bedeutenden Kaufleuten Kölns
verheiratet waren und selbst aus ratsfähigen, d. h. einflußreichen
Familien stammten. Die Ehepartner agierten eigenständig, unterstützten
sich aber in der Form, daß die Kaufleute z. B. die Produkte ihrer Ehefrauen
vertrieben. Während die Jungen jedoch Bildungs- und Ausbildungswege
von den Pfarrschulen über Lateinschulen bzw. weiterführenden Lateinunterricht
bis zur Ausbildung in fremden Kaufmannshaushalten durchliefen, erhielten
die Mädchen nach dem Elementarunterricht eine informelle Ausbildung
im Familienbetrieb. Den Töchtern wurde in den entsprechenden Familien
jedoch bewußt eine gute Ausbildung ermöglicht, die diese in dem
besonderen Kölner Milieu als Aussteuer für eine gute Heirat und
zur späteren Alimentierung der Eltern verwenden sollten. Die vielfältige
Berufstätigkeit der Frauen läßt die These zu, daß in
Köln eine breite männliche und weibliche Mittelschicht eine umfassende
Schreib-, Lese- und Rechenfähigkeit erreicht hatte. Ohne diese Fähigkeiten
waren weder Geschäfte abzuwickeln noch bestimmte Arbeiten auszuführen
oder Zünfte zu leiten. Mit dem Niedergang des Kölner Gewerbes im
16. Jahrhundert endete die ungewöhnliche berufliche Selbständigkeit
der Frauen.
In der anschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, daß
die genauere Analyse der kaufmännischen Bücher der Frauen ein ebenso
hohes Niveau ergab wie die eines gut ausgebildeten Kaufmanns. Die in diesem
Milieu aufwachsenden Söhne und Töchter erwarben zudem eine berufsorientierte
Einstellung und Bildung, die sie später selbst in erfolgsorientierte
Berufstätigkeit umsetzen konnten. Schließlich ist jedoch auch
festzuhalten, daß Frauen enger ‚praxisorientiert‘ ausgebildet wurden.
Während Jungen ein größerer Aktionsradius innerhalb der Bildung
und Ausbildung zugestanden wurde, wurden Mädchen durch ihren weitgehend
innerfamiliär gestalteten Ausbildungsweg stärker an bestimmte Berufsziele
gebunden.
Kurt Wesoly (Bonn) beschrieb anschließend die „Elementarbildung und
Berufs(aus)bildung von Handwerkslehrlingen am Mittel- und Oberrhein im 16.
und 17. Jahrhundert“. Hier wurde deutlich, daß Lehrlinge und ihre Ausbildung
ein Forschungsthema darstellen, das bisher noch wenig bearbeitet scheint.
So gibt es in der Forschung Auffassungen, daß bis zum 15. Jahrhundert
eine regulierte Lehrzeit nicht existiert habe. Andererseits gibt es Dokumente
eines geordneten Lehrwesens aus dem 14. Jahrhundert, z. B. in Frankfurt,
Mainz und Speyer. Realhistorisch variiert aber nicht nur der Beginn von Lehre
als Ausbildungsprogramm, sondern auch deren Dauer (von durchschnittlich 2-3
Jahren mit Ausschlägen von einem bis zu fünf Jahren) und das Eintrittsalter
der Lehrlinge (von etwa 12 Jahren bis zu 18 Jahren). Die Festlegung auf i.d.R.
mindestens 12 Jahre wurde von den Zünften mit einer erst in diesem Alter
gegebenen Lern- und Handlungsfähigkeit begründet. Während
die Lehrverträge die Lehrgeldzahlung und die Sanktionsmöglichkeiten
des Lehrherrn regelten, sagen sie i.d.R. nichts über die Lehrinhalte.
Der konkrete Alltag der Lehrjahre für den Lehrjungen und den Meister
sind durch die Quellen nicht zu fassen. Lediglich durch auftretende Probleme
sind Zunft- und Prozeßakten erhalten, die jedoch einen begrenzten Aussagewert
für den Alltag der Ausbildung besitzen. Dennoch konnte nachgewiesen
werden, daß Gesellen und Meister über weitgehende Schreib-, Lese-
und Rechenfähigkeiten verfügten. In den Zunftbüchern wurde
durch die Meister z. T. reihum protokolliert, Zunftordnungen mußten
vom jeweiligen Vorsitzenden vorgelesen werden, Beschlüsse im städtischen
Rat gelesen werden können. Auch die Gesellen führten Bruderschaftsbücher,
Register etc., Rechnungen und Quittungen wurden von den Handwerkern selbst
ausgestellt. So läßt sich die These formulieren, daß Handwerker
durchschnittlich wohl über einen deutlich höheren Bildungsgrad
verfügten als bisher angenommen. Dennoch, so ergab die anschließende
Debatte, ist diese These methodisch problematisch. So kann von den Zunftbüchern
und der Tätigkeit im Rat nicht auf eine umfassende Schreib- und Lesefähigkeit
aller Meister geschlossen werden. Aufgrund des geringen Materials, das absolute
Zahlen enthält, muß die Darlegung von Zusammenhängen sich
z.T. auf plausible Thesen beschränken.
Gestützt wurde die These von einer hinreichenden Lese-, Schreib- und
Rechenfähigkeit der Handwerker durch den Vortrag von Reiner Prass (Paris)
über die „Ausbildung und Schriftkenntnisse bei Thüringer Bauhandwerkern
1600-1750“. Für viele Bauhandwerker waren diese Fähigkeiten sowie
das Zeichnen beruflich unverzichtbar. Am Beispiel der Residenzstädte
Gotha und Weimar und der Handelsstadt Erfurt zeigte sich, daß an den
überlieferten Dokumenten (Kostenvoranschläge, Konstruktionsskizzen,
Aufrisse, Quittungen etc.) eine weitgehende Kompetenz im Lesen, Schreiben
und Rechnen ablesbar ist. Zugleich differenzierte der Referent diese Aussage,
da der Schreiber nicht immer sicher zu identifizieren ist. Es kann sich also
auch um andere Schreiber als den Handwerker gehandelt haben, der dann nur
eine Unterschrift unter das Dokument setzte. Mit Beginn des 18. Jahrhundert
sind jedoch zunehmend die Handwerker selbst als Schreiber und Unterzeichner
auszumachen. So wurde auch erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts Alphabetisierung
zu einem eigenständigen Wert, während deren Notwendigkeit im 16.
und 17. Jahrhundert zunächst mit besonderen Anforderungen und Aufgaben
korreliert worden war. So zeigte sich die Modernität der Residenzstadt
Gotha und der Regierung in Sachsen-Gotha auch daran, daß hier bereits
zu Beginn des 18. Jahrhunderts theoretische Fertigkeiten von den Lehrlingen
gefordert wurden, während Weimar sich weiterhin mit praktischen Fertigkeiten
begnügte. Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse wurden dabei an unterschiedlichen
Bildungsorten erworben: Familie, Schule, Lehrherr bzw. Meisterhaus. In der
Diskussion wurde betont, daß es sich bei Gotha und Erfurt nicht um
außergewöhnliche Städte handele, sondern - im Vergleich z.
B. mit dem Bergischen Land - um ‚Fälle‘, die für bestimmte sozioökonomische
Bedingungsgefüge Exemplarität beanspruchen können.
Die erste Sektion schloß mit einem Vortrag von Marcel Lepper (Berlin),
der über die Elementarbildung in Nürnberg am Beispiel der Meistersinger
um 1500 berichtete. Lepper zeigte am Beispiel des Meistersangs und seiner
Verbreitung die Wechselwirkung zwischen Hoch- und Volksliteratur sowie zwischen
dem bestehenden Bildungswesen und dem Meistersang. Anhand des vielfältigen
Bildungsangebots (städtische und private Elementar- und weiterführende
Schulen, Bibliotheken, Humanistenzirkel) der Stadt Nürnberg, die über
ein vermögendes Patriziat verfügte, des soziokulturellen Phänomens
des Meistersangs und schließlich der Biographie des Handwerkersohns
Hans Sachs konnte belegt werden, daß die Grenzen zwischen Elementarbildung
und gelehrter Bildung sozial fließend sein konnten. Hans Sachs durchlief
ab dem Alter von 15 Jahren eine Schuhmacherlehre und lernte in dieser Zeit
die Grundlagen des Meistersangs. Durch die überregionale Vernetzung
der Meistersangvereine wurde er in München Merker in einer Meistersangschule,
bis er selbst Lehrer in der Singschule in Nürnberg wurde. Sachs besaß
eine Bibliothek mit gut 3.600 Werken, wobei die weltlichen Werke überwogen.
Eigene Annotationen belegen, daß Hans Sachs nicht nur eine repräsentative
Bibliothek besaß, sondern diese auch zu nutzen verstand. Lateinschulbesuch
und gelehrte, auch autodidaktische Bildung, Meistersangvereine und deren
Stilbildung und Kompositionsprinzipien führten zu erheblichen Schnittmengen
zwischen Volks- und gelehrter Bildung; sozial abgrenzbare Bildungswelten
diffundierten in andere Stände hinein. In der Diskussion wurde jedoch
zugleich deutlich, daß es sich bei den Nürnberger Meistersingern
und deren Bildung um ein Sonderphänomen handelt, das keine Exemplarität
beanspruchen kann. Eine mit den Bildungsangeboten und dem Reichtum Nürnbergs
vergleichbare Stadt sei allenfalls noch Augsburg.
Am Donnerstag begann die Sektion II über die Kaufleute mit dem Vortrag
von Hans-Ulrich Musolff (Bielefeld) über „die Ausbildungsfunktion des
Soester Gymnasiums für nicht-akademische Berufe im späten 17. und
frühen 18. Jahrhundert“. In einer eingehenden statistischen Untersuchung
der Schulkarrieren von Kaufleuten und Handwerkern anhand eines Schülerverzeichnisses
der Jahre 1685-1708 bewies er, daß auch Gruppen ohne akademische Ambitionen
auf ihre Weise Nutzen aus dem „klassischen“ Gymnasium gezogen haben. Ein
in der Aufklärung entwickelter Diskurs über die standesgemäße
Erziehung zur Brauchbarkeit wertete entgegen der schulischen Realität
die Lateinschulen als Orte einer breiten höheren Bildung ab - eine Vorstellung,
die sich über die Aufklärung hinweg gehalten und verbreitet hat.
Dagegen bereitete das Soester Gymnasium nicht nur durch die allgemeine Gewinnung
guter schriftlicher Kompetenzen, sondern auch durch einen breit angelegten
öffentlichen und privat ergänzten Unterricht in Mathematik die
Kaufleute und Handwerker auf ihren Beruf vor.
Das zeitlich früheste Beispiel für eine kaufmännische Ausbildung
lieferte Hans-Peter Bruchhäuser (Magdeburg) mit einem Vortrag über
„Die Berufsbildung deutscher Kaufleute im späten Mittelalter und in
der frühen Neuzeit“, der freilich schon mit den ersten Ansätzen
dieser Ausbildung in fernen Handelsniederlassungen im Hochmittelalter begann.
Nachdem er zunächst vor dem hohen Grad sozialer Fragmentierung dieser
Schicht warnte, zeigte der Referent, daß die kaufmännische Berufsbildung
in dieser Zeit - vor der Entstehung des modernen Staates und der Konfessionalisierung
und in Abwesenheit einer entwickelten Erziehungstheorie - rein funktionaler
Natur war. Deren Bedingungsfaktoren, Ziele, Formen und Inhalte wurden im
Refererat dargestellt, zumeist anhand von Quellen aus der Handelsstadt Nowgorod.
Als die Kaufleute allmählich ihre Waren nicht mehr selbst begleiteten
und ihre Geschäfte nicht mehr ausschließlich persönlich abwickelten,
ergab sich die Notwendigkeit einer Ausbildung umfassender Schriftlichkeit
und schließlich der doppelten Buchführung, um die Geschäfte
vom heimatlichen Kontor aus verfolgen, kontrollieren und lenken zu können.
Dies und der Bedarf dieses neuen, aufstiegsorientierten städtischen
Standes an sozialem Prestige führten zu einem Wandel der kaufmännischen
Erziehung und Ausbildung, die fortan auch schulische Bildung einschloß.
Bettina Blessing (Regensburg) stellte dann zu Beginn der Sektion III, Soldaten
und Lehrer, „Konzepte der Elementarbildung und die Lebenswelt der Lehrer
deutscher Schulen“ dar, am Beispiel der Reichsstadt Regensburg von der Reformation
bis 1750. Die gemischtkonfessionelle Situation der Stadt erlaubte ein Vergleich
des Schulwesens der acht lutherischen „Wachtschulen“ (Elementarschulen der
Stadtviertel) und sechs weiterführende Schreib- und Rechenschulen der
lutherischen Mehrheit mit den drei katholischen Schulen der Minderheit, die
im Niveau allerdings sehr ähnlich waren, so daß sich ein Teil
der Elterschaft eher nach der Qualität als nach der Konfession der Schule
richtete - wiederum ein Beweis für die fließenden Grenzen der
Konfessionalisierung. Was die „Lebenswelt“ der Lehrer (d. h. Berufsantritt,
Arbeitsbedingungen und Besoldung) betrifft, ist deren konkrete Lebenslage
leider nur durch normative Quellen dokumentiert, so daß der Topos von
der schlechten Lebenslage der Lehrer nicht durch eine präzise, empirische
und vergleichende Studie nuanciert werden kann.
Am Nachmittag behandelten zwei Vorträge die Elementarbildung und Ausbildung
im Militär. Die Referate differenzierten die zum Teil anachronistischen
Vorstellungen der Teilnehmer, wenigstens derjenigen, die mit diesem Forschungsgebiet
nicht vertraut waren. Daniel Hohrath (Esslingen) zeigte in seinem Vortrag
über „Bildung von Soldaten und Offizieren 1650-1750“, daß entgegen
verbreiteten Vorstellungen sich die Einrichtung eines stehenden Heeres nur
langsam und unvollkommen vollzog, so daß lange keine spezifische (Aus)Bildung
zum Soldaten entwickelt wurde. Einerseits mußte jeder Soldat darauf
vorbereitet sein, den Dienst bald zu quittieren und einen anderen Beruf zu
ergreifen, andererseits waren die Handwerker in einer Armee, die noch keine
feste innere Struktur und Ausrichtung besaß, sehr willkommen. Offiziere
besaßen natürlich eine höhere Bildung, aber diese hing wie
der Rang der Offiziere eher von deren sozialer Herkunft ab als von einer
besonderen militärischen Erziehung und Ausbildung, obwohl soziale Mobilität
durch die Armee in der Konstitutionsphase des Heeres noch möglich war.
Die Ritterakademien waren in diesem Zeitraum jedoch eher Orte einer Standesbildung
als Militärschulen. Die einzigen Ansätze einer militärischen
Berufsausbildung sind in technischen Spezialdisziplinen wie der Artillerie
zu beobachten. Von einer militärischen Bildung mit besonderen Inhalten
und Strukturen kann also schwerlich gesprochen werden.
Aus demselben Grund sollten auch die Garnisonsschulen nicht als Vorbereitungsanstalten
zu militärischen Berufen betrachtet werden. Das ging aus dem Vortrag
von Jutta Nowosadtko (Essen) über „Die Bildung der Soldatenkinder im
18. Jahrhundert“ hervor, die ihre Beispiele aus den Städten Dresden,
Potsdam und Münster nahm. Außer einem entwickelten Internatsleben
und einigen besonderen Unterrichtseinheiten in Handarbeiten (z. B. Strümpfe
stricken) weichen die Organisation und das Programm dieser Garnisonsschulen
nicht sehr von den städtischen deutschen und Waisenschulen ab. Die falsche
Wahrnehmung dieser Anstalten liegt wahrscheinlich in der schon bei den Zeitgenossen
verbreiteten Vorstellung eines sich selbst reproduzierenden Militärstandes.
Die Sektion IV, Mädchen und Frauen, begann am Freitag mit einem Vortrag
von Juliane Jacobi (Potsdam) über „Elementar- und Berufsbildung der
Mädchen im Halleschen Waisenhaus“. Sie berichtete aus den Ergebnissen
eines DFG-Forschungsprojekts zu den Franckeschen Schulen in Halle. Quelle
der Analyse war das Hallesche Waisenalbum, das Daten über Herkunft,
Kenntnisse, Verweildauer, Beurteilungen und Berufswege der Waisen enthält.
Ausgewertet wurde der Zeitraum 1695 (Gründung des Waisenhauses) bis
1769 (Tod des Sohnes August Hermann Franckes). Im Vortrag zeigte die Referentin,
daß die standes- und geschlechtsadäquate Erziehung und Bildung
im Sinne des Pietismus auch für die Beschulung und Ausbildung der Waisenkinder
galt. Während die Anzahl der Waisenjungen die der Waisenmädchen
durchweg überwog (im Jahr 1700 39 Waisenmädchen gegenüber
109 Waisenjungen), besuchten die Waisenmädchen nur die Elementarschule
und erhielten Unterricht im Nähen, Stopfen und Stricken, während
die Jungen auch als Lateinschüler zu identifizieren waren oder aber
als Kinder ohne Lateinschulziel Ergänzungsunterricht in den ‚Realien‘
erhielten. Beide Geschlechter erhielten jedoch dieselbe Elementarbildung.
Während die Waisenmädchen durchweg aus der Region Halle und Umgebung
mit einem Einzugsradius von rund 50 km stammten, war der Radius bei Jungen
deutlich größer. Auch bei der sozialen Herkunft zeigte sich, daß
der Anteil von Vätern aus Handwerk und Militär bei den Mädchen
höher war als bei den Jungen, bei denen sich mehr Väter mit theologischem
Examen fanden, so daß angenommen werden kann, daß diese Familien
für ihre Söhne eine gelehrte pietistische Bildung in Halle suchten.
Die bei Aufnahme durchschnittlich etwa 11jährigen Mädchen streuen
im Kenntnisstand auch breiter als die Jungen, die häufig mit Vorkenntnissen
kamen, um dann die Lateinschule zu besuchen. Die Waisenmädchen gingen
zu 98 „in Dienst“, wobei die Haushaltsvorstände, häufig Verwandte,
identifizierbar sind. Diese Stellungen waren keine Lehre, aber eine ‚Lehrzeit‘
für die Mädchen. In der Tendenz waren die Haushaltsvorstände
sozial leicht höherstehend als die Herkunftsfamilie der Mädchen.
Schließlich konnte bilanziert werden, daß die sozialen Netzwerke
des Pietismus in eingeschränkter Form auch für Mädchen eine
Funktion besaßen. Die weibliche Arbeit war noch nicht durchweg familiarisiert,
sondern eher ‚teilprofessionalisiert‘; Mädchen erhielten im Sinne der
Frühen Neuzeit eine berufliche Ausbildung. Die Franckeschen Stiftungen
waren keine rein männliche Institution, aber Mädchen nahmen doch
eine eher marginale Position ein.
An die Überlegung einer teilprofessionalisierten Ausbildung von Frauen
in der Frühen Neuzeit knüpfte der Vortrag von Andreas Rutz (Bonn)
über „Semireligiosentum und Mädchenbildung. Schulehaltende Devotessen
im frühneuzeitlichen Köln“ an. Unter Semi-Religiosentum versteht
man eine religiöse Lebensform, die dem klösterlichen Lebensentwurf
folgt, ohne die Gelübde abzulegen oder an die Klausur gebunden zu sein.
Dieses Leben konnte in gleichgesinnten Gemeinschaften ebenso geführt
werden wie als Einzelperson im Haushalt von Verwandten. Die Kölner Jesuiten
hatten im 17. und frühen 18. Jahrhundert Mädchenschulen gegründet
und als Schulmeisterinnen sog. semireligiöse „Devotessen“ berufen. Schließlich
unterrichteten die Devotessen auch an den öffentlichen Stadtschulen
Kölns. Während weibliche Lehrorden wie die Englischen Fräulein
oder die Ursulinen das Mädchenschulwesen in den großen Städten
prägten, dominierten in kleinen Städten und auf dem Land die Devotessen
und Tertiarinnen. So sind Devotessen aus Köln als Magisterinnen in weiteren
Städten und Dörfern des Rheinlandes nachweisbar. In Köln sind
die Devotessenschulen unter Aufsicht der Jesuiten auch als Ausschaltung von
Konkurrenzschulen und als Instrument der Konfessionalisierung zu werten.
Die Devotessen waren selbst häufig wohlhabend, stifteten Geld für
weitere Lehrkräfte oder zur Gründung von Mädchenschulen, wobei
die ärmeren Bevölkerungsgruppen als Klientel dominierten. Neben
den Elementarkenntnissen in Lesen und Schreiben wurden Religion und Sittenlehre
unterrichtet. In Köln hatten sich um 1650 bereits geschlechtsspezifische
Schulformen durchgesetzt, während im öffentlichen Elementarschulwesen
in der Frühen Neuzeit i. d. R. koedukativ unterrichtet wurde. Köln
besaß ein flächendeckendes öffentliches Mädchenschulwesen,
in dem ein religiös-katechetisches Gesamtkonzept dominierte mit dem
Ziel, die Mädchen zu zukünftigen Müttern und religiösen
Erzieherinnen zu bilden. In der Diskussion wurde dann mehrfach die Frage
der Selbständigkeit der Frauen angesprochen. So wurde auf die Stiftungen
von Frauen für die Gründung von Jesuitenklöstern hingewiesen
(Frauen als Initiierende) und die Frage der ‚Berufsvorbereitung‘ von Mädchen
diskutiert. Bezogen auf die teilprofessionellen Aufgaben von Frauen in der
Frühen Neuzeit im Haushalt und im Beruf des Mannes (Mitarbeit) könnte
die Erziehung in Elementarfertigkeiten auch ‚berufsvorbereitende‘ Qualität
besessen haben. Der Referent bezweifelte diese These und vermutete hinter
dem Angebot von Lese- und Schreibunterricht eher einen Anreiz zum Schulbesuch,
während der Schulunterricht dann stark durch Religionsunterricht, Beichtvorbereitung
etc. geprägt worden sei. Erst im 18. Jahrhundert seien Elemente eines
Emanzipationsprozesses erkennbar, während im 17. Jahrhundert die Devotessen
durch die Jesuiten dominiert worden seien.
Franziska Heusch (München) berichtete anschließend über
„Elementare Mädchen- und Jungenerziehung bei den Berliner Hugenotten
in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“. Ebenso wie in den Franckeschen
Stiftungen war auch das Schulwesen der Hugenotten in Berlin auf Erziehung
und Bildung ausgerichtet und vertrat keine ausgesprochene Arbeitspädagogik.
1689 begannen die Hugenotten mit dem Aufbau eines eigenen Schulwesens in
Berlin. Die calvinistische ‚Pädagogik‘ war einerseits ein Kontrollinstrument,
sollte aber andererseits die Gläubigen in die Lage versetzen, selbständig
ein religiöses, rechtgläubiges Leben zu führen, u. a. durch
individuelles Lesen der Bibel. Die sog. Ältesten visitierten und kontrollierten
in der Gemeinde die einzelnen Familien, die Diakone die Stiftungen und damit
die Armen. Die Erziehung und Bildung der Kinder war auch Aufgabe der Gesamtgemeinde,
die aufgrund der besonderen Bedingungen des Calvinismus die Pflicht auf sich
nahm, eigene Schulen zu gründen und zu unterhalten. Die 6.000 Hugenotten
in Berlin entwickelten eine eigenständiges Bildungssystem von hoher
Qualität, dem zur Vollständigkeit nur eine Akademie oder eine Universität
fehlte. Bereits 1703 gab es vier hugenottische Elementarschulen, in denen
Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen erteilt wurde. Daneben existierten
ein Prediger- und Lehrerseminar, das 1689 gegründete Französische
Gymnasium, mehrere Mittelschulen sowie ein Waisenhaus, die Ecole de Charité
(Armenschule, mit angeschlossenem Internat) und das Petit Hospital. Ziel
war u. a. eine flächendeckende Versorgung der Armen mit Schulen. So
wurde für die ärmere Bevölkerung eine ‚Schulpflicht‘ gefordert
und mit Hilfe von Disziplinarstrafen umgesetzt. Obwohl die französische
Bevölkerung zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter 10 der Gesamtbevölkerung
Berlins ausmachte, standen 1780 75 deutschen 66 französische Schulen
gegenüber. Besonders das (koedukative) Waisenhaus galt als Eliteanstalt,
obwohl dessen Zöglinge aus ärmlichen Verhältnissen stammten
- Bildung erschien wichtiger als die frühe Erziehung zur Arbeit. In
der 1747 gegründeten Charité-Schule wurden die Geschlechter dagegen
getrennt, und der Unterricht geschlechtsspezifisch aufbereitet: während
die Jungen auf eine Lehre vorbereitet wurden, wurden die Mädchen auf
die Arbeit in der Familie und im ‚Dienst‘ vorbereitet. Bei der Auswahl von
Dienststellen wurden die Neigungen der Mädchen berücksichtigt und
dieses nicht gegen ihren Willen in Stellung gegeben. Von den über dreißig
Mädchen unter den ersten 150 Waisenhauszöglingen gingen 14 in Dienst,
9 absolvierten eine Lehre, 9 kehrten zu ihren Familien zurück. In der
Diskussion wurde nochmals die Frage der geschlechtsspezifischen Erziehung
und Ausbildung thematisiert. Letztlich ließen sich Arbeitsverhältnisse
(Anlernen) und Lehrverhältnisse in den Quellen nur schwer voneinander
unterscheiden. Schließlich stellte sich die Frage nach dem Grund der
besonderen Qualität und Quantität des hugenottischen Bildungswesens.
Der Minderheitenstatus einer Konfession kann zu einer Strategie der Selbstbehauptung
durch Qualität bzw. Bildung beitragen. Gleichzeitig diente das Bildungswesen
und die französische Unterrichtssprache der Aufrechterhaltung hugenottischer
Identität und der Integration der Gemeindemitglieder in die Gemeinschaft.
An den letzten Diskussionspunkt knüpfte der Vortrag von Frank Konersmann
(Bielefeld) über „Elementarbildung in bäuerlichen Familien in der
Pfalz und in Rheinhessen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“
an, der die Sektion V, Auf dem Lande, einleitete. Konersmann konnte zeigen,
daß entgegen der verbreiteten Annahme eines hohen Analphabetentums
auf dem Land bzw. im Bauernstand auch hier vielfach von Lese-, Schreib- und
Rechenkenntnissen auszugehen ist. Nicht nur Großbauern, sondern auch
kleinere Landwirte führten im 18. Jahrhundert kaufmännische Bücher
sowie Konten über Arbeitskräfte. Handeltreibende Bauern wickelten
seit Ende des 17. Jahrhundert z. T. einen bargeldlosen Zahlungsverkehr ab.
In der Pfalz und in Rheinhessen handelte es sich zudem um eine nach dem Dreißigjährigen
Krieg gemischtkonfessionelle Bevölkerung, wobei die Mennoniten eine
führende Stellung in der Landwirtschaft innehatten. Die meisten der
bäuerlichen Schreibebücher stammen von Mennoniten, während
für katholische Bauern keine Schreibebücher gefunden werden konnten.
Durch die Gemischtkonfessionalität gab es in den Dörfern häufig
drei Kirchen und für jede Konfession eine eigene Schule; Mennoniten
schickten ihre Kinder in die reformierten Schulen. Neben den öffentlichen
Schulen hielten wohlhabende Bauern für ihre Kinder Privatlehrer, die
sie allein oder in Gemeinschaft mit anderen Eltern bezahlten, nicht anders
als die wohlhabenden Kaufleute in der Stadt. Auch die Gemeindeorganisation
bzw. die Ausübung von deren Ämtern (Konsistorien) erforderte bei
den Mennoniten und den Reformierten Lese-, Schreib- und Rechenkompetenz.
Die obrigkeitliche Besteuerung und die Taxierung von Steuerlasten forderte
jedoch von den örtlichen Bauernvertretern aller Konfessionen Schreib-
und Rechenfähigkeiten. Bei zunehmender Marktbeobachtung durch die Bauern
führten diese zudem verschiedene Bücher für ihre Erzeugnisse
(Branntwein, Weizen, Vieh etc.) und koordinierten ihren Betrieb durch ihre
Buchführung. Neben den alltäglichen Anforderungen des Betriebs
war aber auch die inhärente religiöse Motivation der Mennoniten
und Reformierten bedeutsam. Besonders die Mennoniten, die durch die Obrigkeit
nur geduldet waren, standen unter wirtschaftlichem Erfolgsdruck, dessen Einlösung
durch eine religiös motivierte innerweltliche Askese und eine entsprechende
Berufs- und Bildungspraxis gefördert wurde.
Im abschließenden Beitrag von Mareike Menne (Paderborn) zum Thema
„Untertanenpflicht im Hochstift Paderborn - Beginn und Erfolg der Schulpflicht
im späten 17. Jahrhundert“ wurde der Zusammenhang von Herrschaft, Repräsentation
und Bildung erörtert. Während die Schulordnung im Hochstift Paderborn
1663 den Zusammenhang von religiöser Unterweisung und Herrschaft beschreibt,
die Schulverweigerung der Untertanen unter Strafe stellt und einen Schulbesuch
(im Sinne einer Unterrichtspflicht) für alle Kinder unter 12 Jahren
einfordert, kamen im Ort Delbrück auf 1.200 Einwohner nur 45 Schüler.
Nach den bischöflichen Visitationsakten war der Umsetzung der Schulordnung
nur ein schwacher Erfolg beschieden. Der Schulbesuch war schlecht, aber Schulunterricht
wurde nach den Quellen wohl flächendeckend angeboten. Bezogen auf das
Motiv des Fürstbischofs zur Förderung der wenig prestigeträchtigen
Elementarbildung argumentierte die Referentin, daß dieser als Humanist
auf eine breite Bildung der Untertanen Wert gelegt habe. Zugleich verbürge
die Teilnahme aller Untertanen an der ‚Kultur‘ eine individuelle und kollektive
Identität, die in der Vorstellung des Herrschers wiederum herrschaftssichernd
wirkte. Zugleich diente die rationale Bildung der Untertanen dem Aufbau eines
funktionierenden Staatswesens. Für die Person des Herrschers stellte
die Referentin die fama in den Mittelpunkt. Die fama, als Versuch der Lebenden,
Ruhm zu erwerben und damit das eigene Nachleben zu sichern, benötigte
Rezipienten, die diesen verbürgten. Die Bildung der Untertanen sollte
dann das Nachleben der herrscherlichen Person und ihrer Taten sichern. Die
Schulpolitik im Hochstift Paderborn diente daher der landesherrlichen Politik
ebenso wie einer kirchlichen Kontrolle der Rechtgläubigkeit. Besonders
das fama-Motiv des Fürstbischofs wurde in der Diskussion kontrovers
debattiert. Dieses wurde eher in den Kontext einer überregionalen universitas
litterarum gestellt. Zugleich zeigte sich, daß die Schulpflicht im
Hochstift und deren Bedeutung eher in einer Konstruktion durch die Obrigkeit
bestand, da die Schulverhältnisse vor und nach der Schulordnung 1663
nur wenig differierten.
In der Abschlußdiskussion wurde auf die Bedeutung des auf der Tagung
nicht berücksichtigten jüdischen Bildungswesens hingewiesen sowie
auf die noch fehlende Einbindung der Ergebnisse in einen internationalen
Zusammenhang. Deutlich wurde, daß als ein Ergebnis die sozialen Grenzen
zwischen Elementarbildung und gelehrter bzw. weiterführender Bildung
nicht mehr so klar gezogen werden können wie bisher. Die Vermittlungsorte
der Bildung (Familie, Schule, Meisterhaus, Beruf) und deren Verzahnung müßten
in weiteren Analysen systematischer gefaßt und untersucht werden. Muster
geschlechtsspezifischer Bildung und Ausbildung müssen weiter geklärt
werden bzw. in den epochenspezifischen Kontext und das epochenspezifische
Verständnis von Mann und Frau und deren Aufgaben gestellt werden. Auch
dasjenige, was in unterschiedlichen Epochen jeweils als Grundbildung oder
Allgemeinbildung sowohl in qualitativer wie geschlechtsspezifischer Hinsicht
definiert wird, bedarf noch einer weiteren Klärung. Auch die Bedeutung
der Konfessionalisierung für die Entwicklung des Bildungswesens und
der individuellen und kollektiven Bildungsmotivation scheint noch nicht hinreichend
geklärt und bedürfte weiterer, dieses Thema besonders ins Auge
fassender Untersuchungen. Zusammenfassend läßt sich festhalten,
daß elementare Kenntnisse in den Kulturtechniken Lesen, Schreiben und
Rechnen im Untersuchungszeitraum offenbar deutlich weiter verbreitet waren
als bisher angenommen und der Bruch in der sog. ‚Sattelzeit‘ (Koselleck)
ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bezogen auf Bildung und Ausbildung
weniger scharf war als es die intellektuellen Diskurse der Zeit suggerieren.
Daher kann nicht von einem kontinuierlich verlaufenden Fortschrittsprozeß
oder von einem abrupt einsetzenden Modernisierungsschub ausgegangen werden,
sondern von (regionalen) Höhepunkten, Rückschlägen und Wiederaufnahmen.
Schließlich müßte vor dem Hintergrund der Tagung genauer
untersucht werden, was die Rede von der Sattelzeit bezogen auf die historische
Bildungsforschung rechtfertigt oder in Frage stellt.
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