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HBO Datenbank - Bericht

Autor: Loeffelmeier, Rüdiger ; Sager, Christin
Titel: 6. Forum junger Bildungshistoriker – Nachwuchstagung 2006 der Sektion Historische Bildungsforschung in der DGfE. Tagungsbericht
Erscheinungsjahr: 2006
Text des Beitrages:


Bericht über den ersten Tag der Veranstaltung am 29. September 2006 (RÜDIGER LOEFFELMEIER)

Bereits zum sechsten Mal organisierten JÖRG-W. LINK und UWE SANDFUCHS die Nachwuchstagung der Sektion Historische Bildungsforschung, die wiederum an bewährtem Ort in der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin stattfand. Damit kann man schon fast von einer kleinen Tradition sprechen, und somit seien neben einem herzlichen Dankeschön an die Organisatoren auch ein paar Gedanken gestattet, die sich auf das Konzept dieser Veranstaltung beziehen.

In seinen Begrüßungsworten wies JÖRG-W. LINK darauf hin, dass er und Uwe Sandfuchs sich trotz der Fülle an eingereichten Beiträgen dazu entschlossen hatten, keine Auswahl zu treffen, sondern alle Bewerberinnen und Bewerber einzuladen. Diese Entscheidung gibt zwar vielen Nachwuchskräften die Chance, vor einem kompetenten Publikum vorzutragen, hat jedoch zur Folge, dass die Tagung an drei Tagen stattfindet, die mehrere Monate auseinanderliegen. Die Kompaktheit früherer Veranstaltungen ist somit nicht mehr gegeben, und so manches Sektionsmitglied – vor allem die mit festen Stellen gesegneten Kolleginnen und Kollegen – wird sich gut überlegen, ob es zweimal die Reise nach Berlin antreten wird. Dabei konnte von einer Notwendigkeit, auf eine Auswahl zu verzichten, keine Rede sein. Betrachtet man sich nämlich die Beiträge des ersten Tages, so zeigt es sich, dass sich von den insgesamt neun Vorträgen nur vier auf laufende Dissertationsprojekte bezogen. Lediglich hier konnte der ursprüngliche Sinn der Nachwuchstagung voll zur Entfaltung kommen: dem wissenschaftlichen Nachwuchs von kompetenter Seite fruchtbare Hinweise zur weiteren Arbeit an den Projekten zu geben. Bei den fünf weiteren Beiträgen war dies gar nicht mehr möglich, da diese in vier Fällen abgeschlossene Dissertationen vorstellten und sich ein weiterer Vortrag auf ein Forschungsprojekt weit jenseits der Dissertation bezog. Vor diesem Hintergrund ist es sicher sinnvoll, die Konzeption der Tagung noch einmal grundsätzlich zu diskutieren.

Nichtsdestotrotz hat sich die Teilnahme an der Tagung auch für die Zuhörenden aufgrund der behandelten Themen durchaus gelohnt. Nach der Begrüßung durch JÖRG-W. LINK und einem Grußwort des Leiters der Bibliothek für bildungsgeschichtliche Forschung, Herrn CHRISTIAN RITZI, widmete sich REBEKKA HORLACHER (Zürich) in ihrem Vortrag Tagebücher als Quellen bildungshistorischer Forschung der Frage, ob sich das zumeist für die Biografieforschung genutzte Tagebuch nicht auch zur Erhellung von Erziehungswirklichkeit in Institutionen nutzen lässt, sofern es eben nicht nur persönliche Befindlichkeiten, sondern Geschehnisse und Abläufe festhält. Anhand des Tagebuchs des Pestalozzi-Schülers Johannes von Muralt, in dem dieser das Tagesgeschehen in Münchenbuchsee zu protokollieren versuchte, sollte diese Möglichkeit exemplarisch ausgelotet werden. Vor dem Hintergrund der Überzeugung, dass es der Historiografie nicht möglich ist ‚zu zeigen, wie es wirklich war‘, wurden Chancen und Grenzen der Tagebuchanalyse anschließend diskutiert. Einigkeit bestand darin, dass die Hinzuziehung anderer (normativer) Quellen in jedem Fall ratsam ist.

Ebenfalls aus Zürich stammt MONIKA WICKI, die im zweiten Vortrag des Tages die Frage behandelte, was die Beziehungen zwischen Jung und Alt bestimmt. Dazu stellte sie die Ergebnisse ihrer Dissertation vor, in der sie in einem begrenzten Raum (deutschsprachige Schweiz) und in einem festgelegten Zeitrahmen (1884-1984) Diskurse über Definitionen von Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen analysiert, wobei politische Debatten, Literaturzeitschriften, pädagogische Zeitschriften, Lesebücher und Gemälde als Quellen dienten. Weniger die Feststellung, dass sich die Vorstellungen von Kindheit verändert haben, als die unterschiedlichen Kontexte, in denen diese Veränderungen deutlich werden, regte eine Diskussion an, die verschiedene Fragestellungen zur weiteren Auseinandersetzung mit der Thematik hervorbrachte.

Die Zeit des Nationalsozialismus wurde in den folgenden drei Vorträgen thematisiert. STEFANIE FLINTROP (Düsseldorf) widmet sich den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten für Mädchen und gewährte einen Einblick in den derzeitigen Stand ihrer Dissertation. Da sie gerade damit beginnt, das von ihr zusammengetragene, sehr umfangreiche Quellen- und Interviewmaterial hinsichtlich der beabsichtigten institutions- und mentalitätsgeschichtlichen Darstellung auszuwerten, konnte ihr die Diskussion hilfreiche Hinweise zum zielorientierten Arbeiten geben.

TONI MORANT I ARINO (Valencia) untersucht in seiner Dissertation die Kontakte zwischen dem Bund deutscher Mädel und der Sección Femenina der spanischen Falange und fragt danach, ob der Austausch dieser Staatsjugendorganisationen einen Prozess gegenseitiger Beeinflussung bewirkte bzw. wie diese aussah. Dazu wertet er Archivmaterial in Spanien und Deutschland aus, um erstmalig die Formen gegenseitiger Kontakte sowie die diesen zugrunde liegenden Motive, Intentionen und Wirkungen darzustellen. Anmerkungen zu diesem Vortrag betonten u.a. die Wichtigkeit solcher Forschungsarbeiten, da diese die Konzentration der Forschung auf die nationalsozialistische Jugendpolitik im Deutschen Reich aufbrechen und den Blick auf die Wirkung dieser Konzepte auf andere (verbündete) Länder richten, wobei auch die besetzten Länder ein interessantes Forschungsfeld bieten könnten.

Von seinem abgeschlossenen Dissertationsprojekt berichtete anschließend ADRIAN SCHMIDTKE (Göttingen). In seinem Vortrag zur Visualisierung von Körper und Geschlecht in der Erziehung des Nationalsozialismus stellte er heraus, dass es neben den idealtypischen Abbildungen von Mädchen und Jungen auch zahlreiche Fotografien gibt, die aus dem üblichen Rahmen herausfallen und ein recht uneinheitliches Bild von Körperlichkeit zeigen, womit sie weiten Teilen der einschlägigen NS-Forschung widersprechen. Die präsentierten Beispiele veranschaulichten diese Ergebnisse, führten jedoch auch zu einer Diskussion, die die Interpretationsmöglichkeiten von Bildmaterial – erneut – deutlich machte.

Weiter zurück in die Geschichte führte der Vortrag von GESA BRÜMMEL (Lüneburg), die in ihrer mittlerweile eingereichten Dissertation am Beispiel von niedersächsischen höheren Schulen den Wandel des Kantorats im Zeitraum 1750 bis 1830 untersuchte. Hier wie in dem Vortrag ging es ihr darum, den erkennbaren Bedeutungsverlust des schulischen Musikunterrichts und somit des Kantorats nicht – wie in der Forschungsliteratur üblich – als Verfall darzustellen, sondern als grundlegende Umstrukturierung zu verstehen, die den Kantoren ein neues Aufgabenfeld im musikalischen Leben der Städte eröffnen konnte. Die Diskussion ihrer auf breitem Quellenmaterial fußenden Untersuchung zeigte in erster Linie Möglichkeiten eines Forschungsanschluss auf, etwa im Hinblick auf einen Vergleich von Regionen oder Schultypen.

Einblick in ein weiteres laufendes Dissertationsprojekt gewährte JAN SCHMINDER aus Leipzig. Unter der Überschrift Geschichtslehrer und Geschichtsunterricht an sächsischen Gymnasien 1831-1866 widmet er sich der Entwicklung des Geschichtsunterrichts in Sachsen, indem er einerseits die Ebene von Schuladministration und –verwaltung in den Blick nimmt, andererseits die Biografien von Geschichtslehrern hinsichtlich ihrer Ausbildung und den Umständen ihrer Amtsausübung untersucht. Aufgrund der Vortragsinhalte und der sich andeutenden Materialfülle ergab sich eine angeregte Diskussion, die viele Vorschläge und Anregungen zur Fortsetzung der Arbeit hervorbrachte, die gerade in diesem frühen Stadium der Dissertation hilfreich sein dürften.

Ebenfalls der sächsischen Geschichte widmete sich HANS-MARTIN MODEROW (Leipzig), der in seiner umfangreichen Dissertation die Probleme regionaler Elementarbildung in Sachsen vom 18. Jahrhundert bis 1876 untersucht hat. Hier standen u.a. Fragen nach der Schulgesetzgebung, dem Verhältnis von Schule und Kirche, der Finanzierung der Volksschule oder dem Status der Lehrerschaft im Mittelpunkt. Die Antworten, die Herr Moderow hauptsächlich aus der Analyse von Gesetzen und Verordnungen gewonnen hatte, regten erneut eine lebendige Diskussion an, die weiterführende Fragestellungen – etwa nach der Rolle jüdischer Volksschulen – aufwarf.

Den Abschluss des ersten Tages bildete der Vortrag von SINYOUNG YU (Hannover), die in ihrem Dissertationsprojekt das berufliche Ausbildungswesen im deutschen Kaiserreich untersucht, wobei sie eine vergleichende Studie im Bereich der Metall- und Elektrotechnik in den Ländern Preußen, Baden und Württemberg sowie Sachsen vornimmt. Dabei stellt sie sich die Frage, ob und inwiefern das sich in Deutschland seit 1860 entwickelnde gewerblich-technische Ausbildungswesen zur sog. Hochindustrialisierungsphase beitrug und einen unterstützenden Einfluss auf die technische Entwicklung und das Wirtschaftswachstum nehmen konnte. Dazu konzentriert sie sich auf die Anfänge und die Entwicklung des beruflichen Ausbildungswesen, indem sie entsprechendes Quellenmaterial analysiert und die Interessen der an diesem Prozess beteiligten Gruppen – Staat, Innungen, Industrievereine, Unternehmer, Sozialpolitiker etc. – in den Blick nimmt. Anregungen zur Fortführung dieses sehr umfangreichen Forschungsvorhabens gab auch in diesem Fall die anschließende Diskussion, und auch die Stimmen, die einen Beitrag der gewerblichen Ausbildung zur Industrialisierung eher skeptisch einschätzten, dürften durch ihre spürbar wohlwollende Absicht, die schon den ganzen Tag über bei allen Äußerungen erkennbar war, eher motivierend auf den Forscherdrang wirken.


Bericht über den zweiten Tag der Veranstaltung am 30. September 2006 (CHRISTIN SAGER)

Am Samstag wies ALMUT SPRIGADE (Oxford) in ihrem Vortrag zur Entwicklung bzw. Reform des englischen Schulsystems nach, dass das Thema „internationaler Bildungs- und Schulvergleich“ bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Aktualität besaß. Der englische Staat, der bis 1839 keinen direkten Einfluss auf das Schulsystem hatte, fürchtete aufgrund der angespannten nationalen Lage (Hungersnot, etc.) eine Revolution, ähnlich der Französischen, und nutzte das Schulsystem als Mittel zur Armenkontrolle. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen zu Beginn des 19. Jahrhunderts weniger ideologische und philosophische Fragen („Was ist Bildung?“, „Wie kann Schule zur Nationenbildung beitragen?“), als vielmehr das pragmatische Problem, wie die Schule aufgebaut und gegliedert werden sollte. England war daher an systemischen Informationen aus dem Ausland interessiert, um das eigene gescheiterte System zu reformieren. Zunächst wurden so vor allem statistische Analysen rezipiert, aber auch Reiseberichte und Schulbeispiele, z.B. Französischer Elementarschulen oder kontinentaler Schulen.

Dem Begriff „Methode“ und dessen Kontinuität innerhalb der Pädagogik widmet sich JAN SNEYD (Bern) in seiner Arbeit. Anhand pädagogischer Quellen aus der Zeit von 1890-1930 stellt er die Frage, ob es sich bei der „Methode“ um ein technisches Konzept handelt und als solches in den historischen Quellen deklariert wird. Hierbei wird eine traditionelle Verwendung des Begriffs seit Comenius diskutiert, in dessen Verlauf sich zwar die Umsetzung der Methode wandelt, die Begriffslogik aber zeitstabil bleibt. Im Anschluss an den Vortrag wurde die Frage nach der Begriffsdefinition innerhalb der Quellen und die jeweilige Verwendung des Begriffs in den verschiedenen Disziplinen aufgeworfen. Interessant erschien des Weiteren die Frage, wie technologisch die Reformpädagogik war und ob hier die „Methode“ als solche benannt oder aber durch Metaphern wie der „Naturgemäßheit“ eher verschleiert wurde. Erinnert wurde in diesem Zusammenhang an die deutsche Übersetzung von Maria Montessoris Werks „Il methodo“ in „Ein Handbuch“.

NORBERT GRUBE (Zürich) wendet sich der frühen bundesdeutschen Umfrageforschung (1947 bis 1969) und deren doppeltem Engagement zu, das in der Diagnose einerseits und der Therapie andererseits besteht. Dieses Engagement soll anhand politischer Beratung und Propaganda, aber auch bildungspolitischer Arbeiten empirischer Sozialwissenschaften und nicht zuletzt anhand der Wertedebatten untersucht werden. Ob Foucaults Konzept der Bevölkerungs- bzw. Biopolitik in einen Zusammenhang mit der Umfrageforschung gebracht werden kann, wird in der Arbeit ebenfalls thematisiert. In der sich anschließenden Diskussion wurde auf verschiedene Momente der Umfrageforschung verwiesen. Einerseits trug sie zur Etablierung der empirischen Sozialwissenschaften bei, andererseits diente sie eher den Auftraggebern, denn dem Volk selbst. Die Gesellschaft, die eher als Analyseobjekt fungiert, profitiert erst im Nachhinein von den Ergebnissen der Forschung, die nicht präventiv, sondern aus Notständen heraus veranlasst wird. Zugleich wurde auf die meinungsbildende Wirkung der Umfrageforschung und die damit verbundenen Probleme hingewiesen.

Mit Hilfe der seriell-ikonographischen Fotoanalyse untersucht JANE SCHUCH (Berlin) die pädagogischen Beziehungen der „Schule der Freundschaft“ in Staßfurt (1982-1988), in der 900 Kinder und Jugendliche aus Mosambik lebten. Die in dieser Zeit entstandenen privaten, professionellen und amateurhaften Fotografien zeigen die Differenz zwischen politischer sowie pädagogischer Intention und dem Lebensalltag der Kinder und Jugendlichen. Thematisiert werden soll in diesem Zusammenhang das „Bild des Fremden“, zu dem es bisher kaum Forschungsliteratur gibt, um eventuell ein „sozialistisch“ gefärbtes Bild ausfindig zu machen. Um die Fotografien beurteilen zu können, plant Schuch den Bildkorpus mit unterschiedlichen Bildern zu vergleichen. Zum einen sollen Bilder ähnlicher Situationen betrachtet werden, um auszuschließen, dass die Mimik der Kinder und Jugendlichen alters- bzw. situationstypisch ist, zum anderen Bilder aus anderen kulturellen Kontexten, so auch Appellbilder aus mosambikanischen Schulen, herangezogen werden. Zur Validierung ihrer Ergebnisse zieht Schuch weitere Personen – auch mosambiquanischer Herkunft – hinzu, die die Bilder betrachtet sollen. Geplant ist ferner, auch die Kinder und Jugendlichen selbst zu den Fotos zu befragen.

DANIA DITTGEN (Berlin) möchte die Berufsbedingungen sowie die Entwicklung des weiblichen Berufsverständnisses bei Studienrätinnen in West-Berlin der 1950er Jahre untersuchen. Als Quelle dienen ihr sieben Interviews. Dittgen stellt die These auf, dass durch den Anstieg des Frauenanteils im Lehrberuf der Unterricht pädagogischer wurde. In der Diskussion wurde hier auf eine noch ausstehende Kontextualisierung hingewiesen, die sowohl als Verbindung von Beruflichkeit und Familie, als auch im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung vorgenommen werden sollte. In diesem Zusammenhang wurde auf die historische und die systematische Lehrerforschung sowie den historischen Wandel des Berufsverständnisses der Frauen verwiesen, das sich vom Bild der Mütterlichkeit hin zu einem Professionsverständnis gewandelt hat.

Auch der Samstag, der in einer verkleinerten Teilnehmerrunde stattfand, bot Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch und angeregten Diskussionen. Insgesamt zeigt die Vielzahl der Vorträge dieser beiden Tage nicht nur das weite Spektrum eines solchen Arbeitsprozesses, sondern auch die unterschiedlichen Probleme und Fragestellungen, die zu den jeweiligen Zeitpunkten entstehen können. Die konstruktive Kritik, aber auch die Fragen und Hinweise des Plenums waren sicherlich nicht nur für die Vortragenden, sondern auch die Zuhörenden sehr hilfreich und für die eigenen Arbeiten ermutigend.

Anmerkung der Organisatoren: Der für den 23. Februar 2007 geplante zweite Teil der Nachwuchstagung wird leider nicht stattfinden können, da einige der Referentinnen ihre Beiträge aus organisatorischen Gründen zurückziehen mussten. (JWL)

Schlagwörter: Bildungsgeschichte; Bildungsgeschichte(Fach); Tagung
Erfassungsdatum: 18. 12. 2006
Korrekturdatum: 09. 01. 2007