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HBO Datenbank - Projekt

Projektleiter, Anprechpartner: Toppe, Dr. Sabine
Name des Projektes: Polizey und Geschlecht
Vorauss. Abschluss: 1998
Anschrift, Institut: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Erziehungswissenschaft 1, 26111 Oldenburg
Darstellung des Forschungsvorhabens:  

Ein weitgehend unbekanntes Gebiet in der Paedagogik und in den Geschlechterdiskursen der deutschen Aufklaerung stellt die Rolle der Polizeywissenschaft - der Lehre von der inneren Politik des Staates im 18. Jahrhundert - im Prozess der Normierung und Verbreitung der modernen Mutterrolle dar. Die Polizey, in der Aufklaerung nicht allein fuer UEberwachung und Bestrafung, sondern auch fuer Gesetzgebung und die private wie allgemeine "Glueckseligkeit" zustaendig, trat als Erzieherin des weiblichen Geschlechts auf und nahm regen Anteil an der ab der Mitte des 18. Jahrhunderts in den deutschen Staedten einsetzenden umfangreichen Kampagne zur Erziehung der "Muetter der gesitteten und gebildeten Staende". Hier wurde Mutterschaft, wie sie auch heute noch definiert wird, als soziales Muster und kulturelle Norm historisch gepraegt und spezifisch modern. 

In dem weiten Feld des Aufgabenbereichs der aufgeklaert-absolutistischen Polizey nahm die Erziehung der Frauen zur Muetterlichkeit breiten Raum ein. Im entstehenden modernen Staat buergerlicher Praegung definierte Mutterschaft die Rolle der Frauen als Staatsbuergerinnen, die Obrigkeit benoetigte sie als Gebaererinnen und Erzieherinnen "guter, gluecklicher, arbeitsamer und gesunder Menschen". Staatswissenschaftler und akademisch gebildete AErzte haben im Forum der medizinischen Polizey, einem Teil der Polizeywissenschaft, die "gute Mutter", muetterliche Pflege, Liebe und Erziehung zum staatlichen Programm erhoben. Mit einer einzigartigen Verflechtung von Medizin, Staatswissenschaft, Philosophie und Paedagogik uebersetzten sie in einem umfangreichen Schrifttum die absolutistische Bevoelkerungspolitik in ausgefeilte Anleitungen zur polizeylichen Erziehung, Fuersorge und Kontrolle der Frauen. Die Idee der medizinischen Polizey wurzelt in dem
speziellen politischen, wirtschaftlichen und sozialen System des aufgeklaerten Absolutismus. Es gibt keine zeitgenoessische Entsprechung in anderen europaeischen Laendern, was diese Form staatlicher Erziehung und Kontrolle von Weiblichkeit einzigartig macht. Um den umfangreichen polizeylichen Mutterschafts-Diskurs im aufgeklaert-absolutistischen Staat, seinen Beitrag im Prozess der Normierung und Verbreitung der modernen
Mutterrolle darzustellen und einzuschaetzen, war es die schwerpunktmaessige Aufgabe dieser Untersuchung, die polizeylichen Programmatiken zu studieren und zu analysieren. Es schloss sich die Frage nach den Umsetzungsstrategien und Methoden der polizeylichen Erziehung zur Mutterschaft an. Und nicht zuletzt erhoben sich die Fragen nach den Motiven und Interessen der Vertreter der Obrigkeit und nach der Umsetzung, Verbreitung und Wirksamkeit des polizeylichen Erziehungsprogramms. Die polizeylich propagierte Mutterrolle wurde akzeptiert, zunaechst von den buergerlichen Frauen, die dieses Leitbild spaeter an alle anderen Schichten weitergaben. Um zu verstehen, wie das moderne Mutterbild sich verbreiten konnte, erschien es wichtig, den Zusammenhang zwischen polizeylichem Diskurs und weiblichen Lebensrealitaeten zu betrachten. So wurde neben den programmatischen Verlautbarungen der Polizeywissenschaftler exemplarisch ausgewaehlte Aussagen von Frauen der buergerlichen Ober- und Mittelschicht und des Adels zum Thema Mutterschaft in Briefen und Lebensbeschreibungen aus der zweiten Haelfte des 18. und den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts untersucht. Im Mittelpunkt standen dabei praegnante Themen, die sowohl in den Zeugnissen der Maenner wie der Frauen breiten Raum einnehmen: die Freuden und Leiden der Schwangeren und Woechnerinnen, das Thema Kinderpflege und -erziehung und die Bedeutung der Mutterrolle im Schreiben der Frauen. 

Am Ende der Untersuchung erschien die Vermittlung von konkreten Verhaltensgeboten und Lebensregeln an die Muetter in der Polizeyliteratur als zweitrangige Absicht. Vorrangig muss das Muetterlichkeits-Programm als eine Antwort auf das aufklaererische Problem der Gleichheit und als staatlicher Beitrag zur Legitimierung der Geschlechterbeziehungen in der sich konstituierenden buergerlichen Gesellschaft betrachtet werden. Mit ihren wissenschaftlich begruendeten, philosophisch abgesicherten und mehr oder weniger umgesetzten paedagogischen Anstrengungen, Muetterlichkeit als das Eigenste im Weibe und Mutterschaft als natuerliche Bestimmung der Frau zu postulieren, legitimierte die Polizeywissenschaft die soziale und politische Unterordnung, die der Frau in der neu entstehenden buergerlichen Gesellschaft weiterhin abverlangt wurde und die doch eigentlich den buergerlichen Prinzipien von Freiheit und Gleichheit widersprach. Die "Anpassung" und "Einpassung" der Frau in die entstehende buergerliche Gesellschaft, und nicht die Verbesserung der Kinderaufzucht, ist das zentrale Merkmal des polizeylichen und des gesamten aufklaererischen Muetterlichkeitsdiskurses ueberhaupt. Indem die Frauen staatlicherseits auf ihre Rolle als Muetter festgeschrieben wurden, indem sie Zahl und Zustand der Bevoelkerung garantieren sollten, wurde der Beitrag der Frauen bei der Hervorbringung der modernen buergerlichen Gesellschaft ueber die Verpflichtung der Frauen zur Mutterschaft normativ geregelt - wie auch eingefordert. 

benutzte Materialien:  

Ausgewaehlte Handbuecher, Lehrbuecher, Diskurse, Abhandlungen und Theorien der Polizeywissenschaft sowie polizeywissenschaftliche Jahrbuecher, Magazine, Zeitschriften aus der zweiten Haelfte des 18. und den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Eine ebenso repraesentative wie umfangreiche Zusammenstellung polizeywissenschaftlicher Literatur fand sich in der Sammlung Gramberg in der Landesbibliothek Oldenburg.
Vorlaeufer der medizinischen Polizey und Veroeffentlichungen im Rahmen der christlichen "guten Policey" aus dem 16. und 17. Jahrhundert und einige Schriften von Polizeyvertretern der Fruehaufklaerung kamen aus der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz Berlin, der Staats- und Universitaetsbibliothek Goettingen und der Herzog August Bibliothek Wolfenbuettel hinzu. Die ausgewerteten Briefe und Lebensbeschreibungen der Frauen und Muetter liegen in verschiedenen Sammlungen gedruckt vor. 

Status: (Dissertation, Habilitationsschrift, andere Publikationsformen) 

Dissertation 

 

Erfassungsdatum: 10. 06. 1999
Korrekturdatum: 02. 04. 2004