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HBO Datenbank - Bericht

Titel: Jungsein und in die Jahre kommen.
Erscheinungsjahr: 1999
zusätzl. Angaben zum Autor: Universität der Bundeswehr Hamburg, Arbeitskreis Vormoderne Erziehungsgeschichte
Text des Beitrages:
 
Die interdisziplinäre Tagung hatte zum Ziel, die Jugend im "langen Mittelalter", - der Spätantike, dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit - als Phase des Übergangs, der persönlichen Reifung, schulischen und beruflichen Qualifikation, aber auch der Konflikte mit der Gesellschaft der Erwachsenen zu beschreiben. Nach einer die offenen Fragen bündelnden Einleitung und einem Grundsatzreferat aus erziehungswissenschaftlicher Sicht trugen zehn Historikerinnen und Historiker Fallstudien und aktuelle methodische Forschungsansätze vor, die sich insgesamt zu einer Sozial- und Kulturgeschichte der Jugend innerhalb der zeittypischen gesellschaftlichen Entwicklungsräume zusammenfügten.

Martin Kintzinger: Jugend im "langen Mittelalter". Eine geschichtswissenschaftliche Einleitung. 

Gerhard Kluchert: Probleme mit der Jugend. Jugend als Gegenstand der historischen Erziehungswissenschaft und der Sozialgeschichte beschreibt die Unterschiede zwischen historischer Erziehungswissenschaft und Sozialgeschichte in der Definition von Jugend: als pädagogisch gestaltetem Schonraum bzw. Lebensphase mit eigenen Funktionen und Sozialbeziehungen. Der erziehungswissenschaftliche Ansatz wird wegen begrenzter historischer Reichweite sowie mangelhafter erziehungs- und bildungstheoretischer Fundierung und Tauglichkeit zur Abgrenzung von Moderne und Vormoderne kritisiert. 

Christiane Kunst: Jugend unter Aufsicht. Patria polestas in der Spätantike. In der sozialen Wirklichkeit der Spätantike war das Ende der Kindheit (pueritia) markiert durch den Abschluß der Elementarausbildung sowie eine juristisch definierte Mündigkeit (pubes) mit 14 Jahren. Damit blieb der Austritt aus der Kindheit an der traditionellen physischen Mündigkeitsvorstellung orientiert, die durch das Anlegen der Männertoga symbolisiert war. Bei den Mädchen fehlte eine soziale Jugend, da die Hochzeit den direkten Eintritt in die Erwachsenenwelt implizierte. Hingegen war das Ende der Jugendzeit bei den jungen Männern nur unscharf bestimmt. Eine Analyse einzelner Lebensentwürfe zeigt das übereinstimmende Bild, daß im Alter zwischen 18 und 20 Jahren die Übernahme von beruflicher wie politischer Verantwortung erfolgte. 

Christoph Dette: Jugend in einer neuen Welt. Die Adelsgesellschaft des frühen Mittelalters. Unter Jugend verstand man in der Zeit der Karolinger und Ottonen die sich an die zweite Phase der Kindheit (pueritia) anschließende dritte Entwicklungsstufe des Menschen, in der er sich langsam in die Erwachsenenwelt integriert. Die Jugendlichen verändern bei der Aneignung der 137 Werte und Normen die Gesellschaft aktiv. Jugend ist mithin ein wesentlicher Motor sozialen Wandels. Der adolescens muß in den rund 6-8 Jahren seiner Jugend nicht allein "Fachwissen" erwerben, sondern die "Etikette" des/der Höfe befolgen lernen. Derjenige Jugendliche, der sich im Verlauf seiner Sozialisation die von ihm erwarteten Verhaltensstandards erfolgreich aneignete, dabei die Hierarchie der Normen durchschaute, aktiv verändernd eingriff, ohne die daraus resultierenden Konflikte auf die Spitze zu treiben, konnte "Karriere machen". 

Gudrun Gleba: Jugend in der Kirche. Weibliche Ordensgemeinschaften im späten Mittelalter. Innerhalb der klösterlichen Gemeinschaften stellt das ein- bis zweijährige Noviziat zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr die wichtigste Phase der Vorbereitung für das Leben hinter Klostermauern dar. Mit dem Ablegen der Profeß ist die Ausbildungsphase beendet, und der jugendliche Mensch wird vollberechtigtes Mitglied der monastischen Gemeinschaft. Er hat damit in der klösterlichen Hierarchie den Erwachsenenstatus erreicht, wohingegen ihm das jugendliche Lebensalter zunächst bleibt. Diese Ambivalenz charakterisiert viele Trägerinnen der spätmittelalterlichen Ordensreformen in den untersuchten westfälischen Konventen benediktinischer Observanz. Die erfolgreichen Reformdelegationen setzten sich vielfach aus Frauen zusammen, die in noch jugendlichem Lebensalter, also unter 35, standen. 

Martin Kintzinger: Jugend an der Schwelle. Lehre und Handwerk im Mittelalter. Studium oder Handwerkslehre waren die Optionen für männliche (die Lehre auch für weibliche) Jugendliche in spätmittelalterlichen Städten um das 14. bis 16. Lebensjahr. Als Lehrling unter zweifacher hausväterlicher Aufsicht stehend (leiblicher Vater und Meister), war der Jugendliche als Geselle in Ausnahmefällen und regelhaft erst als Meister vollwertiges Mitglied der erwachsenen Gesellschaft, obwohl er schon als Geselle das jugendliche Lebensalter verlassen hatte und viele den Meisterstatus nicht erreichten. 

Sebastian Kreike: Jugend, Schule und Gesellschaft im 16. Jahrhundert. Die Leitmotive der evangelischen Schulordnungen waren Elitenbildung und Disziplin: Die Heranbildung einer Funktionselite für die Verwaltung von Staat und Kirche sowie die Erziehung des gottesfürchtigen, disziplinierten Untertanen waren das Ziel des evangelischen Schulwesens des 16. Jahrhunderts. Disziplin wurde definiert als "äußere Zucht" und normierte das Leben der Schüler in allen Bereichen. Ein wesentliches Hilfsmittel zur Disziplinierung war die institutionalisierte Denunziation, der die drakonische Strafe auf dem Fuße folgte. Fahrende Schüler, die sich solcher Disziplin nicht beugen wollten, sanken auf das Niveau jugendlicher Bettler herab. 

Andreas Ranft: Jugend am Hof. Ritterkultur und höfisches Verhalten im Spätmittelalter. Jugendliche Adlige, die wir an den Universitäten vergeblich suchen, begegnen an den deutschen (und europäischen) Höfen, die sie systematisch besuchen; und das in einem Ausmaß, daß die "Höfefrequenz" insgesamt das Niveau der Universitätsfrequenz - bezogen auf die Gesamtzahl aller Studierenden - ohne weiteres erreicht. Der Hof konfrontiert sie mit den ihnen adäquaten Erfahrungs- und Lernsituationen. Dieser höfische Erziehungsprozesses verrät eine Gesellschaft, die sich als exklusiv und traditional verstand und ganz offenbar auch autonom im Konsens darauf lebte, wie ihre Jugend aufzuwachsen und was sie dabei zu lernen hatte. 

Mathias Beer: Dann sollyche reysen undt spectacula dienen ad prudentiam,. scientiam et mores. Migration, Kommunikation und Jugend in der frühen Neuzeit. Migration war geradezu ein Kennzeichen von Jugendlichen im vorindustriellen Europa. Private Briefe sind in der Regel die einzige, wenn auch sehr ergiebige Quelle hierfür. Sie stellen ein Tor zum Inhalt des Gesprächs zwischen Jugendlichen und Elternhaus dar und erlauben, die spezifische Art der Beziehungen zu beschreiben und damit Charakteristika des Jugendalters dieser Zeit aufzuzeigen. Die Trennung vom Elternhaus galt als unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung, gerade auch dann, wenn sie mit einem Aufenthalt in fremden Ländern verbunden war. Dadurch entstand ein von den Eltern genau beobachteter autonomer Erfahrungsbereich, der eine pädagogische Funktion hatte. 

Mathias Asche: Studentische Organisations- und Geselligkeitsformen in Mittelalter und Früher Neuzeit. Die Universität als Ort der Sozialisation. Universitäten waren als Knotenpunkte sozialer Beziehungen Personen- und Kommunikationsgemeinschaften. Wie die Hochschulen mit ihren Mitgliedern in ihrer Gesamtheit, den "Universitätsverwandten", und die "Verbände" der Lehrenden (Fakultäten) korporativ verfaßt waren, gab es an vormodernen Universitäten immer auch zahlreiche gilde- bzw. zunftähnliche studentische Organisationsformen, welche dem Schutzbedürfnis in der Fremde und dem Geselligkeits- und Sozialisationsbedürfnis der Studenten entsprangen. Die landsmannschaftliche Verbundenheit erleichterte dem jungen Studenten die Trennung von Heimat und Familie und bot einen Schonraum, in dem kulturelle Praktiken und Verhaltensformen erlernt werden konnten. Durchbrochen wurde das landsmannschaftliche Konstituierungsprinzip der studentischen Gemeinschaften erst durch die im Zeitalter der Aufklärung entstandenen Studentenorden. 

Christine Reinie: Jugend als Typus - Jugend als Topos. Stereotype Vorstellungen über Jugendliche bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Nach einem Überblick über die topischen Vorstellungen, die aus biblischer und antiker Tradition mit jungen Menschen verbunden wurden, wird die Frage aufgeworfen, weswegen sich diese Topoi jahrhundertelanger Beliebtheit erfreuten. Hierfür erwiesen sich zwei Gesichtspunkte als bedeutsam: Zum einen zeigt sich, daß die Zuschreibung von Eigenschaften an Jugendliche in ein vielfältiges Referenzsystem eingebunden war, in dem sich theologische, medizinische und astrologische Setzungen gegenseitig stützten. Zum anderen konnten die skizzierten Wissensversatzstücke an reale Erfahrungen angelagert werden, ohne jedoch in diesen aufzugehen. 

Klaus Arnold: Erinnerte Jugend. Autobiographische Zeugnisse des späteren Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Selbstzeugnisse sind per se retrospektiv angelegt; und die "Jugend" spielt in ihnen nur in wenigen Fällen eine bedeutsame Rolle. Anhand der Texte Georgs von Ehingen (um 1467), Johannes Butzbachs (1478-1516), Thomas Platters (1499-1582), Ludwigs von Diesbach (1452-1527), des Hans von Schweinichen (1552-1616) sowie Hermanns von Weinsberg (1518-1597) ließ sich nachzeichnen, daß sie ihre "Jugend" selten eigens thematisierten. Der moderne Begriff "Jugend" findet seine Entsprechung im Zeitabschnitt zwischen Kindheit und elementarer Schulbildung sowie dem Übergang zum Erwachsensein, markiert durch das Ende des Studiums bzw. der Wanderjahre und der Ausübung des studierten bzw. erlernten Berufs, die Familiengründung, den Eintritt ins Kloster oder das Erlangen der Ritterschaft. Entscheidende Bedeutung haben hierbei standes- und geschlechtsspezifische Unterschiede. Gemeinsam erscheint für die Jugendlichen insbesondere eine (zumindest temporäre) räumliche Entfernung vom Elternhaus.

Erfassungsdatum: 01. 07. 1999
Korrekturdatum: 02. 04. 2004