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[AHF] Vom 10. bis zum 12.
September 1999 fand in Coburg die 18. Konferenz der Prinz-Albert Gesellschaft
statt, die in Zusammenarbeit mit der Victorian Society veranstaltet wurde.
In seiner Eröffnung erläuterte der Vorsitzende der Prinz-Albert-Gesellschaft,
Franz BOSBACH (Bayreuth), daß sich die Konferenz als Fortsetzung
der Tagung beider Gesellschaften verstehe, die im Juli 1999 in London stattgefunden
hatte. Nachdem diese sich vornehmlich mit der Entwicklung der schulischen
Bildung in beiden Ländern während des viktorianischen Zeitalters
befaßt habe, stehe im Mittelpunkt der Coburger Konferenz nun die
universitäre Bildung.
In einer ersten Sektion
wurden die Grundlinien der universitären Entwicklung in beiden Ländern
betrachtet. Dabei stellte Asa BRIGGS (London) in seinem Vortrag "Politics
and Reform: The British Universities" heraus, daß sich das britische
Universitätssystem im Verlauf des 19. Jahrhunderts grundlegend gewandelt
hätte. Entscheidend sei vor allem der Prozeß der Säkularisierung
der Universitäten - konkret: der Loslösung der Universitäten
von der anglikanischen Staatskirche - gewesen, der sich zwischen 1840 und
1900 vollzogen habe. Für BRIGGS waren es weniger die Universitäten
selbst, die für diese Änderungen verantwortlich waren. Die entscheidenden
Anstöße seien vielmehr vom Wandel des gesellschaftlichen Umfelds
ausgegangen, das die Universitäten vor völlig neue Anforderungen
gestellt habe. So habe die akademische Abschlußprüfung (als
gesellschaftlich immer bedeutsamer werdender) Nachweis der erworbenen Fähigkeiten,
die bis zum Beginn des 19. Jahrhundert kaum eine Rolle gespielt habe, eine
Schlüsselbedeutung im universitären Leben erlangt.
Die Veränderungen,
die die deutschen Universitäten zur gleichen Zeit erlebten, waren
nicht minder radikal, wie Rainer A. MÜLLER (Eichstätt) in seinem
Vortrag "Vom Ideal der ‚Humboldt-Universität` zur Praxis des ‚wissenschaftlichen
Großbetriebs`. Die Entwicklung des deutschen Hochschulwesens im 19.
Jahrhundert" darlegte. An die Stelle der tradierten "Vorlesungsuniversität"
mit "minderem Wissenschaftsbetrieb" sei im 19. Jahrhundert die "Arbeitsuniversität"
getreten, die nun die Einheit von Lehre und Forschung propagiert habe.
Charakteristika dieser Arbeitsuniversität sei die Ausdifferenzierung
der Disziplinen- und Fächerstruktur (auch im Bereich der technischen
Fächer), der Seminar-Unterricht und die herausragende Stellung der
Lehrstuhlinhaber gewesen. Als ‚Ordinarienuniversität` sei diese deutsche
Form der Universität bis zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zum
weltweit bewunderten und vielerorts kopierten Universitätstypus geworden.
Die folgende Sektion "Prinz
Albert und die Universität" wurde mit einem Vortrag von Thomas BECKER
(Bonn) eröffnet, der sich mit "Prinz Albert als Student in Bonn" beschäftigte.
BECKER konnte anhand gründlicher archivalischer Studien herausstellen,
daß Prinz ALBERTs Studienaufenthalt in Bonn in zweifacher Hinsicht
ungewöhnlich war. Zum einen war allein schon die Wahl des Studienortes
Bonn durch die Coburger Prinzen ALBERT und ERNST keine Selbstverständlichkeit.
Es gab zwar - wie BECKER zeigen konnte - relativ viele Adlige unter den
Bonner Studenten; daß Angehörige regierender Häuser in
Bonn studierten, war jedoch bis zu den Studienzeiten der Coburger Prinzen
ungewöhnlich: Bonn wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
- möglicherweise unter dem Einfluß der Coburger Prinzen - zur
"Prinzenuniversität". Zum anderen hielt Prinz ALBERT als Student relativ
große Distanz zum üblichen studentischen Leben in Bonn, das
von den Landsmannschaften und Corps geprägt war und von BECKER anschaulich
beschrieben wurde. Stattdessen widmete er sich intensiv seinen Studien
und erwies sich dabei im übrigen als sehr genauer und kritischer Beobachter
seiner akademischen Lehrer.
In seinem Vortrag "Prince
Albert and Cambridge University" beleuchtete Derek BEALES (Cambridge) einen
anderen wichtigen Aspekt des Verhältnisses von Prinz und der Universität,
nämlich seine Zeit als Kanzler der Universität Cambridge. Nachdem
ALBERT wohl eher als Zufalls- und Verlegenheitskandidat zum Kanzler gewählt
worden sei, habe der Prinz wenigstens zu Beginn seiner Amtszeit enormes
Interesse an der Universität und großen Reformeifer gezeigt.
BEALES stellte heraus, auf welche Widerstände der Prinz bei seinen
Bemühungen stieß. Sie trugen dazu bei, daß er sich mit
seinen Ideen nur teilweise durchsetzen konnte und seine Position - auch
nach seinem Tod - in Cambridge nicht ganz unumstritten war.
Mit der dritten Sektion
über Geisteswissenschaften wandte sich die Tagung den Wissenschaftskontakten
zwischen Großbritannien und Deutschland im Viktorianischen Zeitalter
zu. In seinem Vortrag über "Hegel und die Philosophie des Common Law"
stellte Julian ROBERTS (München) heraus, daß es zum Teil eindrucksvolle
Parallelen zwischen den Vorstellungen von Vertretern des angelsächsischen
Common Law und verschiedenen Denkansätzen HEGELs gegeben habe; dieser
Befund sei um so erstaunlicher, als eine direkte Beeinflussung HEGELs durch
Vertreter des englischen Common Law nicht nachweisbar sei. In mancherlei
Hinsicht könne HEGELs Philosophie - so ROBERTS - als idealer philosophischer
Überbau des englischen Common Law gelten.
Patrick BAHNERS (Frankfurt
am Main) lenkte den Blick auf die Rezeptionsgeschichte des deutschen Historismus
im Großbritannien des 19. Jahrhunderts. Einer der Gründe für
das enorme Interesse englischer Gelehrtenkreise an der deutschen Geschichtsschreibung,
etwa jener Niebuhrs, war nach Bahners Einschätzung, daß man
sie - gerade in freidenkerisch orientierten Kreisen - für Musterbeispiele
von wissenschaftlicher Vorurteilslosigkeit und gedanklicher Konsequenz
hielt.
Wie naturwissenschaftliche
Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien aussehen konnten,
wurde von Olaf BREIDBACH (Jena) und Marc FINLAY (Savannah) in zwei Vorträgen
exemplarisch dargelegt. Breidbach zeigte in seinem Vortrag "`Evolution`
in the 19th century remarks on the history of German-British / British-German
relations" den bemerkenswerten Prozeß der Rezeption des Darwinismus
in Deutschland, die bekanntlich eng mit der Person des Zoologen Ernst HAECKEL
verbunden ist. Breidbach stellte dabei heraus, wie gerade die deutsche
Physiologie als eine der biologischen Denkschulen - und zwar eine, in der
Deutschland eine Führungsrolle einnahm - sich durch die Beschäftigung
mit DARWIN in der zweiten Hälfte veränderte und in einer Zeit,
in der deutsch-britischer Wissenschaftsaustausch noch nicht selbstverständlich
war, enge Beziehungen zu Großbritannien aufbaute. Anschließend
erläuterte Mark R. FINLAY (Savannah) in seinem Vortrag "German-British
Relations in the History of Nineteenth-Century Chemistry: Personal Friendships
and International Rivalries", daß die deutsch-englischen Naturwissenschaftskontakte
gerade in einem Bereich besonders ausgeprägt waren, der für die
industrielle Entwicklung beider Länder eine entscheidende Rolle spielte,
der Agrarchemie. Dies lag nicht zuletzt an den vorzüglichen Englandkontakten
Justus Liebigs, die in dem Vortrag erläutert wurden. FINLAY legte
freilich Wert darauf herauszustellen, daß die englisch-deutschen
Naturwissenschaftskontakte nicht nur von Harmonie geprägt waren. Ausgerechnet
Justus Liebig selbst und einer seiner wichtigsten wissenschaftlichen Ansprechpartner
in England, Joseph Henry GILBERT, trugen zu einem späteren Zeitpunkt
nämlich scharfe Kontroversen aus, in denen mit zunehmender Heftigkeit
der Auseinandersetzungen auch gegenseitige, nationalistisch geprägte
Vorurteile, Stereotypen und Unterstellungen zum Ausdruck kamen.
In einer weiteren Sektion
schließlich ging es um die literaturwissenschaftlichen Beziehungen
zwischen Großbritannien und Deutschland im 19. Jahrhundert. Sie wurden
beispielhaft anhand der Goethe-Rezeption in Großbritannien und der
Shakespeare-Rezeption in Deutschland erläutert. Gerlinde RÖDER-BULTON
(Guildford / Surrey) legte in ihrem Vortrag "Goethe in Great Britain" anschaulich
dar, daß Goethes Werk in England zu Lebzeiten des Dichters - abgesehen
von einer kurzen Periode in den 1780er Jahren - in England kaum zur Kenntnis
genommen worden ist. Erst durch CARLYLE seit Ende der 20er Jahre des 19.
Jahrhunderts sei die interessierte (gelehrte) Welt auf GOETHE aufmerksam
gemacht worden und habe sich seit den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts
in wachsendem Maße mit GOETHE auseinandergesetzt. Die Gründung
der bis heute florierenden englischen Goethegesellschaft im Jahre 1886
bildete den Schlußpunkt dieser Entwicklung.
Sabine VOLK-BIRKE (Halle)
legte in ihrem Vortrag "Shakespeare in Deutschland" im Anschluß dar,
welch immensen Einfluß die Beschäftigung mit dem Werk dieses
Dichters auf die Bildung eines anerkannten Universitätsfachs "Englische
Philologie" in Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts gehabt habe.
Es hing mit der enormen Reputation dieses Dichters in Deutschland zusammen,
daß sich die Shakespeare-Gesellschaft erfolgreich für die Errichtung
von Lehrstühlen der englischen Philologie, der Verstärkung des
gymnasialen Englischunterrichts und die Gründung wichtiger wissenschaftlicher
Periodika der englischen Philologie einsetzen konnte.
Reform und Expansion: dies
waren - wie in den Vorträgen und den begleitenden lebhaften Diskussionen
deutlich wurde -.die charakteristischen Aspekte des Wandels des englischen
und des deutschen Universitätssystems im Zeitalter Prinz ALBERTs.
In seinem Schlußvortrag griff Keith ROBBINS (Lampeter) diese historischen
Bezüge auf und fragte nach dem, was heute in Großbritannien
mit dem allgegenwärtigen Schlagwort der "University Reform" verbunden
wird. Er zeigte deutlich, daß von Seiten der Politik nun -nach der
Expansionsphase der 60er Jahre - sehr widersprüchliche Anforderungen
an die Universitäten gestellt würden: Man werde einerseits nicht
müde, nach "elite institutions" in Forschung und Lehre zu rufen, forciere
aber zugleich die Öffnung der Universitäten für möglichst
viele, fordere also "Spitzenforschung" und "Spitzenlehre" bei ständig
rigideren Ausgabebegrenzungen und sinkenden Mittelzuweisungen. Den deutschen
Teilnehmern kam vieles von dem, was Robbins zur schwierigen aktuellen Lage
der britischen Universitäten ausführte, trotz der völlig
andersartigen universitären Tradition nur allzu bekannt vor. Es wurde
so deutlich, daß die mannigfachen Parallelen und Berührungspunkte,
die während des Kolloquiums zwischen den deutschen und englischen
Universitäten der Zeit Prinz ALBERTs in zum Teil verblüffender
Weise deutlich geworden waren, sich bis in die Gegenwart fortsetzten. Das
Kolloquium konnte so zeigen, wie sehr die Geschichtsschreibung der Universitäten,
aber auch die aktuelle Hochschulpolitik davon profitieren können,
sich mit den Erfahrungen des jeweils anderen Landes auf diesem Feld auseinanderzusetzen.
Die Ergebnisse des Kolloquiums
werden im Band 17 der Prinz-Albert-Studien (Verlag Saur, München)
dokumentiert werden.
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