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[AHF] Vom 23. bis zum 25.
September fand eine vom Zentrum für Höhere Studien der Universität
Leipzig (ZHS) und vom Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und
Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) gemeinsam organisierte, international besetzte
Tagung zur "Institutionalisierung historischer Forschung und Lehre" statt.
Für die Konzeption und Organisation der Veranstaltung waren Frank
HADLER (GWZO), Gabriele LINGELBACH (Freie Universität Berlin) und
Matthias MIDDELL (ZHS) verantwortlich. Die Tagung war die dritte in einer
Reihe von Veranstaltungen, die sich mit den Institutionalisierungsprozessen
der Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich beschäftigten:
Während man 1995 über die Rolle von Historischen Kongressen und
1997 über Historische Zeitschriften diskutiert hatte, ging es
dieses Mal um die Gründung und Entwicklung von universitären
und außeruniversitären Historischen Instituten. (Aus diesen
ersten beiden Tagungen resultierte jeweils ein Sammelband: G. Diesener/M.
Middell (Hrsg.): Historikertage im Vergleich, Leipzig 1996 (= Comparativ
6, Heft 5/6); M. Middell (Hrsg.): Historische Zeitschriften im internationalen
Vergleich, Leipzig 1999).
Die Tagungsreihe ist Ausdruck
einer sich seit einigen Jahren vollziehenden Umorientierung in der Wissenschaftsgeschichtsschreibung.
Lange Zeit dominierte im Bereich der Geistes- und somit auch der Geschichtswissenschaft
die Rekonstruktion von methodologischen und geschichtsphilosophischen
Konzepten und die Beschreibung nationaler Historiographien anhand ihrer
herausragenden Vertreter. Die Geschichte der Geschichtswissenschaft wurde
als Pantheon bedeutender Zunftmitglieder und einiger weniger "bleibender
Bücher" rekonstruiert. Innerhalb dieses Ansatzes lösten Paradigmen
einander ab und die Entwicklung der Geschichtswissenschaft wurde als fortschreitende
Einsicht in historische Zusammenhänge mit dem Fluchtpunkt des gegenwärtigen
Standes der historischen Forschung konzipiert. Arbeiten jenseits dieses
Ansatzes, Arbeiten, die sich zur Erklärung der geschichtswissenschaftlichen
Entwicklung auf den gesellschaftlichen Kontext historiographischer Produktionen
konzentrierten, standen und stehen heute dagegen vor dem methodischen
Problem, wie die sozialen bzw. politischen und intellektuellen Bezüge
von Wissenschaft miteinander verbunden werden könnten. Für
einige war BOURDIEUs Soziologie, welche die Beziehungen zwischen der gesellschaftlichen
Kommunikation, Ressourcen- und Prestigeverteilung einerseits und der innerakademischen
Entwicklung andererseits thematisiert, ein möglicher Anknüpfungspunkt,
um das geschilderte Problem anzugehen. An die Stelle einfacher Kausalmodelle
tritt nun verstärkt die Untersuchung der Vielfalt der Handlungsräume
von Akademikern. Damit ist auch die "dichte Beschreibung" als Verfahren
der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung aufgewertet worden. Allerdings
ergibt sich angesichts der entstandenen Studien das methodische Problem
der geringen Formalisierbarkeit von "thick descriptions". Die Komparatistik
ist damit konfrontiert, daß Studien, die mehrere räumlich auseinander
liegende Fälle untersuchen, nur im Ausnahmefall völlig auf Primärquellen
gestützt werden können; die daraus resultierende Abhängigkeit
von vorliegender Sekundärliteratur führt dazu, daß deren
Ergebnisse durch eine gewisse Formalisierung kompatibel gemacht werden
müssen. Der Mangel an international vergleichenden Projekten kann
wohl als Hinweis auf die Schwierigkeiten dieses Vorgehens gedeutet werden.
Die Diskussion über
eine eventuelle "kulturalistische Wende" innerhalb der heutigen Geschichtswissenschaft
hat das Bewußtsein dafür geschärft, daß Historiographiehistoriker
ihren Gegenstand nicht nur "objektiv" analysieren, sondern zugleich selbst
Teil des Untersuchungsgegenstandes sind und somit nicht nur das eigene
Geprägtsein durch akademische Sozialisationen und das eigene Gefangensein
in angelernten Vorstellungswelten reflektieren müssen, sondern auch
die beinahe unvermeidliche "teleogische Verführbarkeit" des eigenen
Forschungs- und Darstellungsprozesses bedenken müssen. Als Historiker,
die sich mit geschichtswissenschaftlichen Institutionen beschäftigen,
sprechen wir somit nicht nur als außenstehende Beobachter. Vielmehr
beziehen wir aus den Institutionen, in denen wir ausgebildet wurden und
denen wir angehören, Orientierungen, die uns nicht immer bewußt
sind. Diese Orientierungen betreffen Muster von Wissenschaftlichkeit, betreffen
Wissensordnungen (z.B. in Form von Disziplingrenzen) aber beispielsweise
auch die Kriterien, nach denen geschichtsinteressierte Laien von professionalisierten
Akademikern unterschieden werden. Daß diese Orientierungen keinen
universellen Charakter haben und historisch wandelbar sind, wird immer
noch zu selten gesehen. Die hier vorgestellte Tagungsreihe zur Geschichte
geschichtswissenschaftlich relevanter Institutionen will dazu beitragen,
diese internalisierten Orientierungen unserer Institutionen analytisch
zu durchdringen, auch, indem sie auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten
hinweist, die aus den Institutionalisierungsprozessen hervorgehen. Unter
"Institutionen` werden dabei also nicht lediglich die organisatorischen
Strukturen, unter ‚Institutionalisierung` nicht lediglich deren Entwicklung
verstanden. Vielmehr sollen Institutionen auch als soziale Institutionen
untersucht werden, was bedeutet, daß auch die Aufgaben des Regulierens
und Orientierens derselben und der Konstruktionscharakter, der aus der
Bestimmung von Form und Inhalt der Institutionen hergeleitet werden muß,
analysiert werden sollen. Bei der Untersuchung von Institutionalisierungsprozessen
geht es um die Vorgänge der Herausbildung u nd des Umbaus von Institutionen,
die Vorgänge des Umordnens von Wissen und von dessen Produktions-
und Reproduktionsbedingungen sind. Somit können bei der Untersuchung
von Institutionalisierungsprozessen zwei Aspekte miteinander verknüpft
werden: Jener der Entstehung der organisatorischen Produktionsbedingungen
von Geschichtswissenschaft und jener der Normsetzung und -durchsetzung
für die und innerhalb der geschichtswissenschaftlichen Disziplin.
Diese Fragestellungen sind nicht als eine Subproblematik der Historiographiegeschichte
aufzufassen, die rein additiv mit der Analyse von Geschichtsdiskursen,
Geschichtskulturen und Geschichtspolitiken verknüpft werden könnte.
Vielmehr erschließt sich von einer Institutionalisierungsgeschichte
im genannten Sinne die Hierarchisierung von Wissen und das Gewicht, das
einzelne thematische oder methodische Zugänge zur Vergangenheit in
der Gesellschaft gewinnen oder verlieren.
Die auf der Tagung vom 23.
bis 25. September diesen Jahres behandelten universitären Historischen
Institute sind für diese Fragestellung von großer Bedeutung,
da sie entscheidenden Einfluß auf die Verfachlichung der historischen
Disziplin, auf die Standardisierung und die Professionalisierungsformen
des Faches Geschichtswissenschaft haben: In Historischen Instituten lehren
die anerkannten Vertreter der Disziplin die Inhalte und Methoden ihres
Faches und geben sie an die Nachwuchswissenschaftler weiter. Dadurch kontrollieren
die Historischen Institute auch in großem Maße die Standards
und das Personal nicht nur der universitären, sondern auch der außeruniversitären
geschichtswissenschaftlichen Institutionen. An den universitären und
außeruniversitären Historischen Instituten findet zudem auch
ein Teil der geschichtswissenschaftlichen Forschung statt, hier werden
neue Ergebnisse erarbeitet, vorgestellt, diskutiert und niedergeschrieben.
Ziel der Tagung war es,
über die Vorstellung von Beispielen aus verschiedenen Ländern
und Epochen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Entwicklung nationaler
und regionaler Wissenschaftssysteme und der in diese eingebetteten Historischen
Institute festzumachen. Es sollte versucht werden, über die Vorstellung
von einzelnen Beispielen zu einer Typologisierung von Institutsformen und
von Verlaufsformen ihrer Entstehung zu gelangen. Erst der Vergleich ermöglicht
eine solch idealtypische Zuspitzung, die dann wiederum heuristisch eingesetzt
werden kann, nicht nur, um die Genese einzelner Institutionen oder Institutionstypen
zu untersuchen, sondern auch, um die Genese nationaler Wissenschaftssysteme,
die Genese des Zusammenspiels der verschiedenen Institutionen, ihrer gegenseitigen
Verflechtung und Kompetenzabgrenzung zu untersuchen. Einige der Vorträge
auf der Tagung gaben zu diesem Zweck einen Überblick über die
langfristige Entwicklung in einem Land, wie etwa Tibor FRANK (Budapest)
über Ungarn, Jan HAVRÁNEK (Prag) über Tschechien, Bianca
VALOTA (Milano) über Rumänien, und Michael RIEKENBERG (Leipzig)
über Argentinien; Pim DEN BOER (Amsterdam) verglich die deutsche mit
der französischen Entwicklung. Andere Redner konzentierten sich auf
die Frühphase der universitären Etablierung der Geschichtswissenschaft
in einem einzelnen Land: So sprachen Markus HUTTNER (Leipzig) und Bernhard
VOM BROCKE (Marburg) über die ersten Historischen Gesellschaften und
Seminare in Deutschland, Sebastian CONRAD (Berlin) berichtete über
den japanischen Fall, Christoph STRUPP (Heidelberg) über die Niederlande,
Gabriele LINGELBACH (Berlin) verglich die universitäre Institutionalisierung
der Geschichtswissenschaft in Frankreich mit jener in den USA. Andere Vortragende
konzentrierten sich auf spätere Phasen der institutionellen Entwicklung
wie etwa Gérard GAYOT (Lille), der sich schwerpunktmäßig
mit der französischen Entwicklung nach 1945 beschäftigte. Dieser
Zeitraum stand auch im Mittelpunkt von Frank HADLERS (GWZO Leipzig) Beitrag
über die Historischen Akademie-Institute Ostmitteleuropas im Vergleich,
womit er sich auch auf einen bestimmten Instituts-Typus konzentrierte.
Eine vierte Gruppe von Teilnehmern stellte wiederum einzelne Institute
vor: So sprach Matthias MIDDELL (Leipzig) über das Leipziger Institut
für Kultur- und Universalgeschichte, Eberhard DEMM (Lyon) behandelte
das nationalökonomische Institut an der Universität Heidelberg,
Christoph CORNELIßEN (Düsseldorf) stellte Gerhard RITTERS Institut
für Zeitgeschichte vor, Eckhardt FUCHS (Washington) die international
geleitete Schule für Amerikanische Archäologie und Ethnologie
in Mexiko, Peter Th. WALTHER (Berlin) wiederum verglich zwei solche Institute:
das Kaiser-Wilhelm-Institut für deutsche Geschichte und die Historikerwerkstätten
am Institute for Advanced Study in Princeton. Eine weitere Gruppe von Beiträgen
behandelte die Institutionalisierung von bestimmten Forschungsbereichen:
Cathrin FRIEDRICH (Leipzig) verglich die Entstehung von Forschungseinrichtungen
für die Landes- bzw. Regionalgeschichte in Deutschland, Frankreich
und Norwegen, Markus KRZOSKA (Mainz) thematisierte die polnische Deutschlandforschung
nach dem Ersten Weltkrieg, Ingo HAAR (Halle) und Michael FAHLBUSCH (Basel)
behandelten die Institutionalisierung der Ostdeutschen Volksgeschichte
bzw. der Volkstumsforschung unter dem Nationalsozialismus, Harm SCHRÖTER
(Bergen) sprach über die Institutionalisierung der Unternehmensgeschichtsschreibung.
Die Beiträge und die
anschließenden Diskussionen verdeutlichten, daß sich für
viele Ländern zeitversetzt ähnliche Entwicklungen aufzeigen lassen.
Vielfach kam die Frage auf, inwieweit sich diese Parallelen auch auf eventuelle
Orientierungen an ausländischen Modellen und somit auf Prozesse des
Kulturtransfers zurückführen lassen. Gleichzeitig wurde aber
auch deutlich, in welchem Maße soziale und politische Kontexte auf
die Entstehung und Entwicklung Historischer Institute in den einzelnen
Ländern einwirkten und so zu sehr spezifischen Ausprägungen derselben
führten, die aufgrund der Pfadabhängigkeit solcher Institutionen
bis in die Gegenwart unsere Tätigkeiten als Historiker mitbestimmen.
Die Erträge dieser Tagung sollen in einem 2000 erscheinenden Sammelband
der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
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