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HBO Datenbank - Bericht

Autor: Stübig, Heinz
Titel: Kommunikation und Assoziation in Preußen. Teil 1: Untersuchungen zur Öffentlichkeit, Informations- und Zensurpolitik vom 16. bis zum 18. Jahrhundert
Erscheinungsjahr: 2000
Text des Beitrages:
 

[AHF] Die Tagung, die im nächsten Jahr fortgesetzt werden soll, zielte darauf ab, anhand einer Reihe von Kurzberichten die verschiedenen Aspekte des Themas "Kommunikation und Assoziation in Preußen" in der frühen Neuzeit bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts zu beleuchten.
Bernd SÖSEMARIN (Berlin): Medien und Aspekte des öffentlichen in Preußen
Die breit gelagerte und umfassende Ausdifferenzierung und Vertiefung der öffentlichen Kommunikation in Preußen ist wie in den meisten der anderen deutschen Staaten Teil eines Bildungs-, Bürokratisierungs- und Rationalisierungsprozesses. Er wird von dem Reformverlangen des Bürgertums beschleunigt und von dessen Partizipationsbemühungen begleitet und verstärkt. In den einzelnen Landestellen und Provinzen verliefen die Entwicklungen ungleichmäßig. Dies resultierte vorwiegend aus den sozialen und bildungsmäßigen Unterschieden, aus dem Stadt-Land-Gefälle, aus den institutionellen und landsmannschaftlichen Eigenheiten sowie aus der Verschiedenheit der Regierungs-, Verhandlungs- und Aushandlungsstile. Eine preußische Medien oder Kommunikationsgeschichte kann es streng genommen nicht geben. Die Gründe dafür sind: 1. die relativ zentrale geographische Lage, 2. die Vielfalt transkultureller Beziehungen, 3. die individuellen überregionalen Einbindungen sowie 4. eine Politik, die keinesfalls eine Isolierung wünschte. Dennoch ist der Begriff von nicht geringem heuristischeil Wert, weil er den Blick auf die Strukturen und Interessen des Staates und seines sozialen Gefüges lenkt.
Ernst OPGENOORTH (Bonn): Das publicum und das arcanum. Überlegungen zum Öffentlichkeitsbegriff der frühen Neuzeit
Anknüpfend an neuere Veröffentlichungen erörterte der Referent Probleme einer in sich stimmigen und dabei womöglich quellengerechten Begrifflichkeit frühneuzeitlicher Kommunikationsgeschichte. In diesem Kontext schlug er die Unterscheidung von umfassender und eingeschränkter Öffentlichkeit vor, wobei er innerhalb letzterer zwischen faktischen, etwa sprachlichen, und rechtlich-politischen Einschränkungen unterschied. Hauptproblem ist dabei die Entstehung zweier Bedeutungsvarianten von "öffentlich" seit dem 17. Jahrhundert: Als Normalübersetzung für lateinisch ‚publicus` nahm das Wort neben "allgemein zugänglich" die Bedeutung von "staatlich" an. Dieser Vorgang verlief parallel zur Ausbreitung des Absolutismus, d.h. zur tatsächlichen Einengung politischer Öffentlichkeit zugunsten eines Arkanbereichs. Ein Problembewußtsein hierfür vermutete der Referent in der zeitgenössischen politischen Theorie, etwa bei Christian THOMASIUS (1655-1728).
Esther-Beate KÖRBER (Berlin): Königsberger Buchdruck 1601 - 1650
Der Vortrag basierte auf gedruckten Katalogen, dem im Aufbau befindlichen VD 17 (online) und im Altbestand der Staatsbibliothek Berlin. Nach dem bisherigen Kenntnisstand stieg die Königsberger Druckproduktion in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegenüber dem späten 16. Jahrhundert kaum an. Dies änderte sich erst ab 1640, als die Universität ihre ersten Doktorpromotionen in den oberen Fakultäten vollzog. Allerdings ergeben sich gegenüber den Drucken des 16. Jahrhunderts inhaltlich andere Akzente. Die Produktion wurde vielfältiger und konzentrierte sich zugleich stärker auf ein universitär gebildetes Publikum. Musikallendrucke und vor allem Drucke von Gelegenheitsgedichten waren Ausdruck einer "Öffentlichkeit der Bildung-, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Regeln des richtigen Handelns, einschließlich des politischen Handelns, zu debattieren. Dies alles erfolgte rd. 100 Jahre vor der Zeit, die HABERMAS für das Entstehen öffentlichen Raisonnements annimmt.
Johannes SCHELLAKOWSKY (Würzburg): Formen der Öffentlichkeit unter König FRIEDRICH WILHELM I.
Im Zentrum des Referats stand die Analyse der Formen der höfischen und der militärischen Öffentlichkeit unter FRIEDRICH WILHELM I. Als "Figuration eigener Prägung" (J. KUNISCH) war der Hof FRIEDRICH WILHELMS 1. unmittelbar nach dem Regierungsantritt von zwei Entwicklungen geprägt, der Reduzierung und Militarisierung des Hofstaates. Durch den Rückzug FRIEDRICH WILHELMS I. aus der höfischen Gesellschaft und den bewußten Aufbau eines Gegenbildes zum barocken Hof, das Tabakskollegium, stellte der Hof nicht mehr die "oberste Ebene der Öffentlichkeit" (A. GESTRICH) dar. Vielmehr bildeten sich informelle und nichtoffizielle Möglichkeiten politischer Öffentlichkeit in Form eines engen Beraterkreises um den Monarchen heraus. Trotz der in der Forschung herausgestellten "inneren Militarisierung" Preußens unter FRIEDRICH WILHELM I. ist die Funktion und Bedeutung des Militärischen in der Öffentlichkeit bislang kaum beachtet worden. Die zahlenmäßige Verdopplung der preußischen Armee zwischen 1713 und 1740 und die damit verbundene Neuformation militärischer Einheiten., der Ausbau der militärischen Infrastruktur, die Einführung des Kantonsystems, die preußischen Werbungen im In- und Ausland sowie die vielfältigen Maßnahmen zur Verbesserung der Offiziersausbildung stellten wesentliche Faktoren staatlich-militärischer Öffentlichkeit in Preußen dar.
Holger BÖNING (Bremen): Die preußischen Intelligenzblätter
Die preußischen Intelligenzblätter gelten als Muster einer administrativ hergestellten und gesteuerten Öffentlichkeit, während die Mehrzahl der deutschen Intelligenzblätter ihre Entstehung privater Initiative verdankte. In Preußen erschien im Februar 1727 das erste Stück der "Wochentlichen Berlinischen Frag- und Anzeigungs-Nachrichten", noch im selben Jahr entstanden weitere Blätter in Stettin, Königsberg, Duisburg, Minden und Magdeburg. 1729 folgten Halle, in den 40er Jahren Breslau und Aurich / Ostfriesland sowie 1774 Marienwerder. Später kamen Intelligenzkontore in Danzig, Posen, Warschau und Bialystock hinzu sowie 1804 in Erfurt, Heiligenstadt, Münster und Paderborn. Zweck der preußischen Intelligenzblätter war, "Publizität, nicht der hohen Politik, sondern der Wirtschaft und damit auch Organisation" des inneren Staatsund Wirtschaftslebens (G. OST). Wenngleich die preußischen Intelligenzblätter aufgrund des Zwangsdebits und des Anzeigenmonopols ökonomisch sehr erfolgreich waren, so sind sie in Ihrer Wirkung doch geringer einzuschätzen als jene Blätter, die sich zu Medien gemeinnützigen Engagements entwickelten oder sich auf andere Weise um Attraktivität und verbesserte Informationsleistungen bemühten.
Jürgen REGGE (Greifswald): Medien vor Gericht
Der Referent ging von einem weiten Medienbegriff aus und verstand auch den Begriff des "Gerichts" im umfassenden Sinne. Eingriffe der Exekutive und der Zensurorgane in die Publikationsfreiheit seien vom 16. bis 18. Jahrhundert fast häufiger gewesen als die der Gerichte. Im Mittelpunkt der Ausführungen standen die rechtsgeschichtlichen Aspekte des Themas. Rechtsgründe für Eingriffe in die Medienfreiheit seien vor allem Verstöße gegen die Censurvorschriften gewesen, aber auch die im Strafrecht gegründeten Vorwürfe der Beleidigung, des sog. "crimen laesae majestatis", sowie des Landes- und Hochverrats. Dies wiederum bedinge die Berücksichtigung von mindestens zwei Normebenen, der des Reiches als der zentralen und der Preußens als der territorialen Ebene, Dabei gelte es, zwischen reiner Normengeschichte i. S. etwa der Feststellung der Aufeinanderfolge zentraler und regionaler Verordnungen und Edikte etc. und den Umsetzungen der Normen in die Rechtswirklichkeit zu unterscheiden. So könne aus der Vielzahl der Zensurbestimmungen unter FRIEDRICH II. keinesfalls auf einen besonderen Verfolgungseifer und schon gar nicht auf eine besondere Handhabung dieser Normen geschlossen werden. Zur Klärung dieser Probleme seien allerdings weitere Forschungsarbeiten notwendig.
Hermann HAARMANN (Berlin): Theater als Öffentlichkeit
Im Zentrum des Vortrags stand die Kategorie Öffentlichkeit, die für die Beschreibung der Moderne spätestens mit dem 18. Jahrhundert bedeutsam wird, sowie der Anteil des Theaters an der Durchsetzung der Erprobung einer spezifischen, eben der bürgerlichen Form von Öffentlichkeit. Mit Rückgriff auf die Antike wurde das Theater als öffentliche Veranstaltung sui generis charakterisiert, die allerdings im Laufe der Geschichte entscheidende lJmwertungen erfährt: Als bürgerliche Öffentlichkeit artikuliert Theater das Selbstbewußtsein der aufsteigenden Klasse, indem es die Ideale des Bürgertums auf der Bühne bewahrheitet. Erläutert wurde dieser Zusammenhang an Lessings "Minna von Barnheim", wobei der Referent die Berliner Erstaufführung von 1768 mit der Münchner Inszenierung von 1976 und der Berliner Aufführung von 1999 verglich.
Jörz REQUATE (Bielefeld): "Unverbrüchliche Saga und wahre Fakta". Zur Konstitution von Öffentlichkeit durch Gerüchte und Nachrichten zwischen 1750 und 1850"
Trotz ihrer großen Wirksamkeit sind Gerüchte für den Historiker schwer faßbare Phänomene. Ebenso wie für "normale Zeitgenossen" war es auch für die Zeitungschreiber des 18. und frühen 19. Jahrhunderts in aller Regel sehr schwierig, Gerüchte und Nachrichten auseinanderzuhalten. Allerdings brachte die Berichterstattung über die Französische Revolutlion in den deutschen, insbesondere in den Berliner Zeitungen einen erheblichen Fortschritt. Doch ähnlich wie im 18. Jahrhundert, als die Zeitungschreiber so gut wie keine Möglichkeit besaßen, die Vielzahl von einlaufenden Nachrichten über Unruhen und Aufstände auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen, so ist auch für die Presse der 48er Revolution wieder unverkennbar, wie eng mündliche und schriftliche Kommunikation miteinander verbunden waren. Bis zur Realisierung der Forderung Johann Friedrich COTTAS, "unverbrüchliche Saga und wahre Fakta" auseinanderzuhalten, war es ein langer Weg.
Uwe PUSCHNER (Berlin): Lesegesellschaften und gesellig-literarische Vereine im 18. Jahrhundert
Als Massenphänomen traten die Lesegesellschaften seit dem Beginn der 1770er Jahre auf Für den untersuchten Zeitraum geht man heute von rd. 600 Lesegesellschaften aus, von denen etwa 1/6 auf die preußischen Staaten entfallen. In der Mehrzahl handelte es sich dabei um Lesezirkel, in denen die Lesestoffe in einer bestimmten Reihenfolge unter den Mitgliedern kreisten. Eine Erweiterung stellten die Lesebibliotheken dar, aus der die Mitglieder ihre Lektüre entleihen konnten. Als dritter Typus entstanden seit den 1770er Jahren die Lesekabinette, aus denen im folgenden Jahrzehnt die gesellig-literarischen Vereine hervorgingen. Neben der Lektüre und dem Gespräch über den Lesestoff spielte hier der gesellige Verkehr unter den männlichen Mitgliedern. in bestimmten Fällen auch unter Einschluß der Familienangehörigen, eine wichtige Rolle. Diese Gesellschaften fungierten als zentrale Kommunikationsorte der lokalen Honoratiorengesellschaft und leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft.
Rudolf STÖBER (Dresden / Berlin): Staat und Verleger im 18. Jahrhundert
Am Beispiel der Magdeburger Verleger-Dynastie FABER-MÜLLER und eingebettet in die allgemeine kommunikationshistorische Entwicklung in Preußen und im Reich zeigte der Referent, daß über weite Teile des 18. Jahrhunderts nicht die Obrigkeit gegen die publizistische Öffentlichkeit stand. Vielmehr war es so, daß die publizistische Öffentlichkeit mit einer Vielzahl von Obrigkeiten leben mußte, was nicht nur Möglichkeiten der Bedrückung eröffnete, sondern im Gegenteil den Zeitungsverlegern auch Chancen bot, ihr Auskommen zu sichern. Darüber hinaus waren die Verleger in ihrer Existenz stärker von der ökonomischen Konkurrenz als von den Obrigkeiten bedroht, und vermutlich gingen mehr Verbote auf juristische Einwände zurück als auf Akte staatlicher Zensur- und Verbotspolitik. Und schließlich ergab sich für erfolgreiche Verleger eine Vielzahl von neuen Verdienstmöglichkeiten, wobei sie allerdings immer vom Konjunkturverlauf und von der Zahlungsmoral der Abonnenten abhingen. In wachsendem Ausmaß konnten sie sich auf Anzeigenfinanzierung stützen, ohne daß diese schon zu einer vorherrschenden Einnahmequelle geworden wäre.
Ann T. GARDINER (Berlin): Frau VON STAËLS Begegnung mit den Berliner Salons
Die Referentin skizzierte ein Forschungsprojekt, das darauf abzielt, Frau VON STAËLS sechswöchigen Aufenthalt in Berlin im Frühjahr 1804 unter dem Blickwinkel der Öffentlichkeit darzustellen. Obwohl literaturwissenschaftliche und hagiographische Untersuchungen zu diesem Thema vorliegen, blieben die kulturgeschichtlichen Aspekte ihrer Begegnung mit den Berliner Salons und bei Hofe bislang nahezu unbekannt. In welchen Kreisen verkehrte Frau VON STAËL durch wen bekam sie Zugang zu diesen Kreisen, wie nahmen ihre Gesprächspartner ihren Aufenthalt in der preußischen Residenzstadt wahr? Die intendierte Studie soll diese prosopographischen Fragen klären und dadurch auch die Rolle des Salons als öffentliche Institution erneut herausarbeiten. Aus der Längsschnittperspektive wird Frau VON STAËLS Berlinreise in Verbindung mit dem französischdeutschen Kulturtransfer betrachtet.
Hans-Christof KRAUS (Speyer): Wissenschaft und Staatsreform - Theodor SCHMALZ und seine publizistische Flankierung der preußischen Reformen 1807/08
Der Vortrag befaßte sich mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Staatsreforrn während der preußischen Reformzeit anhand von Veröffentlichungen des Juristen und Staatswissenschaftlers Theodor SCHMALZ (1760-1831). Nach Professuren in Königsberg und Halle kam SCHMALZ 1807 nach Berlin und wirkte dort an der Gründung der Friedrich-Wilhelms-Universität mit, deren erster Rektor er wurde. SCHMALZ, dessen wirtschaftswissenschaftliche Überzeugungen stark durch die physiokratische Lehre Frangois QUESNAYS geprägt wurden, empfand sich selbst als Gegengewicht zu den deutschen Adam SMITH-Schülern KRAUS in Königsberg, SARTORIUS in Göttingen und JAKOB in Halle. Im Jahr 1808 publizierte er zwei weithin beachtete Schriften, einen zustimmenden Kommentar zum Bauernbefreiungsedikt und ein "Handbuch der Staatswirtschaft", das die ökonomischen Reformideen der Regierung HARDENBERG mit Nachdruck propagierte. Der Einfluß dieser Schriften wirft die Frage auf nach einer genaueren Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Publizistik, Staats- und Kameralwissenschaften einerseits und den Staatsreformen andererseits und verweist damit auf das Desiderat einer umfassenden Kommunikationsgeschichte Preußens.
Im Mittelpunkt der Diskussionen, die im Anschluß an die Referate geführt wurden, standen folgende Themen: die verschiedenen Facetten des Begriffs Öffentlichkeit und das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an den öffentlichen Diskursen und damit die Frage nach dem Gender-Aspekt, die Funktion und Rolle des Staates in diesem Prozeß, die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen und ihre Auswirkungen auf die Gestaltung der Kommunikationsstrakturen sowie die Charakteristika einer Medien- und Kommunikationsgeschichte in Preußen.

Erfassungsdatum: 08. 06. 2000
Korrekturdatum: 02. 04. 2004