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[AHF] Der 26. Tag der Landesgeschichte,
veranstaltet vom Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine,
stand unter einem dem Tagungsort angemessenen Thema. An ausgewählten
Beispielen sollte betrachtet werden, welche Wechselwirkungen zwischen Hochschule
und Umland in verschiedenen deutschen Regionen und zu unterschiedlichen
Zeiten bestanden, wie also eine Universität durch den sie umgebenden
Raum geprägt wurde und wie sie ihn ihrerseits geistig, kulturell und
wirtschaftlich beeinflußt hat. Zu Beginn stellte Helmut G. WALTER
(Jena) die Gründung der gastgebenden Universität Jena in den
Rahmen der Hochschullandschaft des Reiches im 15. und 16. Jahrhundert.
Nach einem Überblick über die frühesten europäischen
Universitätsgründungen und die nach dem großen Schisma
einsetzende Gründungswelle, bei der manche Ansätze auch fehlschlugen,
skizzierte er die politische Situation in Mitteldeutschland von der wettinischen
Teilung 1485 bis hin zum Schmalkaldischen Krieg, durch den die Ernestiner
die Universität Wittenberg verloren. Die Ersatzgründung in Jena
sollte nicht nur den angeschlagenen ernestinischen Staat konsolidieren,
sondern diente auch der Bewahrung der reinen lutherischen Lehre, um die
Kurfürst Johann Friedrich sich sorgte. Das Programm orientierte sich
am Wittenberger Reformmodell von 1536, verstand sich aber als dessen Verbesserung
und Weiterführung.
Über den Tübinger
Frühhumanismus von Jakob LOCHER bis Johann REUCHLIN und Philipp MELANCHTHON
sprach Sönke LORENZ (Tübingen). Er stellte die wichtige Rolle
des württembergischen Herzogs Eberhard im Barte heraus, der eine für
seine Zeit moderne Kulturpolitik betrieb. Die um ihn versammelten humanistischen
Reformer wollten die hierarchischen Strukturen der mitteialterlichen, von
der Scholastik bestimmten, auf Grammatik und Rhetorik basierenden Bildungsinhalte
aufbrechen. Die Theologie sollte nicht länger der für alle Fächer
verbindliche Bezugspunkt sein; das Studium der Humaniora gewann seinen
Wert aus sich selbst heraus. Die Tübinger Universität war daher
von Beginn an für die Reformideen aufgeschlossen, auch über Eberhards
Tod hinaus. Die Übernahme der Poetik-Professur durch LOCHER 1492 war
der Startschuß zu einer Entwicklung, die dann von Heinrich BEBEL,
REUCHLIN und MELANCHTHON weitergeführt wurde und Tübingen zu
einem Zentrum frühen humanistischen Geisteslebens werden ließ.
Das Verhältnis von
Universität und Region im 18. Jahrhundert stellte Ernst SCHUBERT (Göttingen)
am Beispiel Würzburgs dar. Seine Analyse der Studentenschaft zeigte,
daß die fränkische Hochschule in dieser Zeit viel stärker
mit ihrem Umland verbunden war als noch im 17. Jh., wo der Einfluß
der Jesuiten eine deutliche Internationalisierung bewirkt hatte. Bis kurz
vor 1800 blieb das Einzugsgebiet konfessionell begrenzt; danach fanden
auch Protestanten den Weg nach Würzburg. Die Universität war
im Lande präsent durch ihren weit gestreuten Grundbesitz, vor allem
aber auch durch die zahlreichen für Landeskinder gewährten Stipendien.
Das Studium ermöglichte ihnen den sozialen Aufstieg, zumal der Staat
seine Beamten vorwiegend aus den Absolventen der Hochschule rekrutierte.
Er bediente sich auch der Professoren: für Rechtsexpertisen, medizinische
Gutachten, zur Bekämpfung von Seuchen oder beim Aufspüren und
Erschließen von Bodenschätzen. Insgesamt ergab sich ein Bild
des Gebens und Nehmens, das die positive Rolle der Universität innerhalb
des Territoriums unterstrich und die landläufigen Vorstellungen von
Verfall und Provinzialismus des Hochschulwesens außerhalb von Halle
und Göttingen in Frage
Matthias ASCHE (Tübingen)
wandte sich dem Ostseeraum als Universitäts- und Bildungslandschaft
zu. In den Mittelpunkt stellte er die 1419 gegründete Rostocker Hochschule,
die erste im niederdeutschen Sprachgebiet. Sie zog die norddeutschen und
skandinavischen Studenten aus Erfurt und Köln ab und entwickelte sich
zu einer Gemeinuniversität des hansisch geprägten Raums um die
Ostsee. Mit den Hansestädten blieb sie lange Zeit eng verflochten;
ihre Professoren stammten zu 70 % aus deren Führungsschichten, die
sich ihrerseits durch Rostocker Absolventen ergänzten. Erst nach der
Reformation verengte sich der Einzugsbereich durch die Errichtung neuer
Universitäten in Frankfurt (Oder), Königsberg und Kiel, in Upsala,
Kopenhagen, Dorpat und Lund - jede mit eigenem Profil und mit regionaler
Ausstrahlung. Damit war auch für Rostock der Weg hin zur mecklenburgischen
Landesuniversität vorgezeichnet.
Der abschließende
Vortrag von Stefan BRÜDERRNANN (Rom) galt der Situation der Studenten
als Einwohner der Stadt Göttingen im 18.Jahrhundert. Das Bild wird,
wenn man den zeitgenössischen Schilderungen folgt, vor allem durch
Schuldenmachen und Exzesse bestimmt. Die Akten des Universitätsgerichts
erlauben eine Überprüfung und Differenzierung. In der Tat stießen
das studentische Verständnis von akademischer Freiheit und die bürgerlichen
Denk- und Verhaltensweisen häufig aufeinander. Man provozierte sich
gegenseitig, und oft kam es zu Beschwerden oder Anklagen. Der Vortrag stellte
vier Hauptgründe für die Konfrontationen heraus. Am häufigsten
waren die Schulden der Studenten bei Kaufleuten und Vermietern Anlaß
zu Streitigkeiten; alle obrigkeitlichen Vorschriften zur Eindämmung
der Kreditgewährung konnten das nicht verhindern. Auch die Beziehungen
der Studenten zu den Töchtern oder Mägden der Bürger erregten
Anstoß, weniger aus Gründen der Moral als aus Angst vor möglichen
finanziellen Folgen oder unerwünschten rechtlichen Verpflichtungen
der Studenten. Das Freizeitverhalten der akademischen Jugend wurde mit
Mißtrauen betrachtet. Vor allem wenn Alkohol im Spiel war, kam es
zu Konflikten und tätlichen Auseinandersetzungen. Und schließlich
standen auch Prestige- und Standesdenken, Renommiersucht und verletztes
Ehrgefühl auf beiden Seiten einem konfliktfreien Zusammenleben im
Wege. Die Spannungen eskalierten in einem Auszug der Studentenschaft nach
einer Prügelei mit Handwerksgesellen im Jahr 1790. Hier wie auch in
anderen Fällen schlug sich die städtische Obrigkeit auf die Seite
der Studenten; die Universität war ein so wichtiger Wirtschaftsfaktor
geworden, daß man die Schattenseiten des studentischen Selbstbewußtseins
wohl oder übel in Kauf nehmen mußte,
Die Vorträge werden
in Band 35 / 1999 der "Blätter für deutsche Landesgeschichte"
veröffentlicht werden.
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