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Die Sektion Historische Bildungsforschung
beschäftigte sich auf ihrer Jahrestagung mit dem Thema „Die pädagogische
Gestaltung des Raums. Geschichte und Modernität“. Die Tagung wurde
in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für Arbeiterbildung Recklinghausen
(jetzt Forschungsinstitut Arbeit, Bildung, Partizipation) veranstaltet
und fand vom 17. bis zum 19. September 2001 im Festspielhaus Recklinghausen
statt. Ausgehend von der Überlegung, dass sich pädagogische Intentionen
nicht nur in der Entwicklung von Institutionen manifestieren, sondern sich
in vielfältiger Weise auch in der Gestaltung und im Wandel von Räumen
spiegeln, widmete sich die Tagung den Entwürfen und Praktiken der
räumlichen Konkretion, Präsentation und Anordnung von Bildungsprozessen
vom 18. Jahrhundert bis in die jüngste Geschichte.
Der Eröffnungsvortrag
des Architekten Max BÄCHER machte unter der Überschrift „Nichts
als Raum“ die Mehrdeutigkeit des Raumbegriffs bewusst und erinnerte dar-an,
dass erst die Umgrenzungen und Ordnungen des Raumes den Raum selbst zum
Vorschein kommen lassen. Das Tagungsinteresse bezog sich nun vor allem
auf die Gestaltung und die Wahrnehmung solcher Ordnungen, denen pädagogische
Funktio-nen, Intentionen und Wirkungen unterstellt oder zugeschrieben werden.
Dies bildete die Klammer für die sichtlich breit gestreuten historischen
Exempel, die in den ins-gesamt zehn Arbeitsgruppen (Zur Pädagogik
des Schulbaus, Räume der Kindheit und Jugend, Geschlossene Gesellschaften,
Wandschmuck und Wandspruch, Räume der Berufsbildung, Räume der
Erwachsenenbildung, Reformsiedlungen als pädago-gische Räume,
Museumsräume, Gedenkstätten als pädagogische Räume
sowie Fah-nenkreis und Lager im Nationalsozialismus) vorgetragen wurden.
Ohne auf die Beiträge
im Einzelnen näher einzugehen, lassen sich insgesamt fol-gende Linien
nachzeichen, die in den Diskussionen eine Rolle gespielt haben. Mit den
Räumen im Spektrum zwischen Kinderzimmer (Nele GÜNTHEROTH), Villa
(Ca-rola GROPPE), erinnerten Räumen der Kindheit (Dorle KLIKA), konspirativen
Erzie-hungsräumen (Ulrich WIEGMANN), Räumen für die Zukunft
Israels (Ulrike MIETZ-NER / Ulrike PILARCZYK), Schul-Museumsräumen
(Ulla NITSCH) und Gedenkstätten als pädagogischen Räumen
(Bernd FAULENBACH und Hasko ZIMMER) wurde zu-nächst der Raumbegriff
selbst noch einmal thematisiert und auf die Frage nach den Hintergrundtheorien
verwiesen, die sich in der Verortung von Ordnungsmustern zwi-schen Disziplinierung
und Modernisierung andeuteten. Die Beschreibungen widme-ten sich in der
Regel vor allem dem Innen und Außen und der Interpretation räumli-cher
Arrangements im Sinne von Offenheit und Geschlossenheit (Christine LOST
und Pia SCHMID für die Herrnhuter, Manfred HEINEMANN für die
Fürsorgeerziehung). Dabei wurde deutlich, dass Offenheit und Geschlossenheit
in ihrer Dialektik und in ihrer Ambivalenz erfasst werden müssen.
Je nach Kontext kann z.B. ein geschlosse-ner Raum sowohl Zwang und Bedrohung
als auch Geborgenheit, Schutz oder Rück-zugsmöglichkeit symbolisieren.
In ähnlichem Sinn wurde über den offenen Raum diskutiert, der
nicht automatisch als derjenige bezeichnet werden kann, der ästhetisch,
moralisch und pägagogisch höher oder besser zu bewerten ist als
der ge-schlossene Raum, sondern auch hier geben Kontext und gegenseitiger
Bezug den Ausschlag für eine qualitative Beurteilung.
Hier und auch in den Raum-Exempeln
für die Berufs- und Erwachsenenbildung (Ina UPHOFF, Martin KIPP, Klaus
HARNEY, Friedhelm SCHÜTTE, Christine ZEUNER, Paul CIUPKE, Franz-Josef
JELICH) zeigte sich, dass für die Erziehungswissenschaft eigentlich
der Transformationsprozess von zentraler Bedeutung ist, d.h., über
die Gegenüberstellung von Außen und Innen, Offen und Geschlossen
hinaus ist zu klä-ren, wie sich die polaren Qualitäten zueinander
verhalten und im weitesten Sinne bildende oder erzieherische Wirkungen
nach sich ziehen, die den Außenraum im In-neren fixieren (Karin PRIEM,
aber auch Joachim SCHOLZ und Horst DRÄGER). Von nicht zu unterschätzender
Bedeutung ist dabei offensichtlich, dass diese Transforma-tion nicht zuletzt
auch kulturell geprägt ist, wie sich im internationalen Vergleich
von Schularchitektur und Schulräumen (William FILMER-SANKEY für
England, Karin AMOS für amerikanische Schularchitektur und Jun YAMANA
für die Japanische Schu-le in der Zeit der Reformpädagogik, Rüdiger
LÖFFELMEIER in einer Posterpräsentati-on für die Franckeschen
Stiftungen, Hanno SCHMITT, Heidemarie KEMNITZ, Frank TOSCH und Inge HANSEN-SCHABERG
in weiteren spezifischen Beispielen für Deutschland) noch einmal besonders
zeigt.
Dass mit dem Innen und Außen,
Offen- und Geschlossensein von Räumen die Be-trachtungsweisen noch
lange nicht ausgeschöpft sind, ist schließlich von Johannes
BILSTEIN am Exempel der Hellerauer Reformpädagogik eindrucksvoll vorgeführt
worden. BILSTEINS Unterscheidung zwischen Werk-, Produktions- und Rezeptionsäs-thetik
verwies zudem darauf, dass es bei der Beurteilung von Raumwirkungen immer
mehrere Perspektiven zu beachten gilt und sich die einem Raum unterstellte
Wirkung noch lange nicht als tatsächliche herausstellen muss. Wie
man solche Wirkungen nicht nur im Sinne ästhetischer oder auch psychologischer
Betrachtungen, sondern in der erziehungshistorischen Rekonstruktion von
Tradierung und Modernisierung ge-stalterischer Muster von Räumen erfassen
kann, ist von den Ergebnissen der Tagung ausgehend noch weiter zu diskutieren.
Versuche in dieser Richtung sind gemacht worden (an Exempeln nationalsozialistischer
Raumordnungen z.B. von Gisela MILLER-KIPP und Kiran Klaus PATEL). Abgeschlossen
ist die Diskussion über die pädagogische Gestaltung des Raums
in Geschichte und Gegenwart damit freilich nicht. Insofern darf man auf
Anschlussarbeiten und Folge-Diskussionen gespannt sein. Ein Tagungsband
ist in Vorbereitung.
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