Text des Beitrages: |
(AHF) Das wechselhafte Verhältnis
von Wissenschaften und Wissenschaftspolitik vom späten Kaiserreich
bis zur frühen Bundesrepublik/DDR näher zu bestimmen, war das
Thema der Konferenz.
Die Tagung wurde mit Unterstützung
der Deutschen Forschungsgemeinschaft von Rüdiger vom Bruch (Humboldt-Universität
Berlin) organisiert und fand im Berliner Harnack-Haus statt. Der Ort war
gut gewählt, denn das ehemalige Gästehaus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
in Dahlem war seit seiner Einweihung Ende der zwanziger Jahre Treffpunkt
und Diskussionsforum einer internationalen Wissenschaft-lerelite. Als Tagungsort
nationalsozialistischer Wissenschaftler und Offizierskasino der amerikanischen
Besatzungstruppen nach 1945, spiegelt das Harnack-Haus nicht zuletzt auch
die wechselhaften Geschicke deutscher Wissenschaften im 20. Jahrhundert
wider.
Der Zeitrahmen der Tagung
vom späten Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik/DDR forderte
vor diesem Hintergrund dazu heraus, Brüche und Kontinuitäten
im deutschen Wissenschaftssystem genauer zu untersuchen, Besonderheiten
herauszuheben und offene Forschungsfragen zu benennen.
Den Blick auf das späte
Kaiserreich zu lenken, unterstrich eine spezifisch wissenschaftshistorische
Perspektive, die versucht, den zahlreichen paradigmatischen Neuorientierungen
in Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften um 1910 Rechnung zu tragen.
Die frühe Bundesrepublik und DDR demgegenüber an das Ende der
Zeitachse zu setzen, zielte darauf, die Zäsur 1945 wissenschaftshistorisch
zu hinterfragen - denn viele der nach 1945 wiedergegründeten Universitäten,
Forschungsinstitute und -organisationen knüpften sowohl personell
wie organisatorisch an die Vorkriegszeit an.
Nicht zuletzt ging es aber
auch darum, die Verstrickungen und wechselseitigen Beziehungen deutscher
Wissenschaften mit der nationalsozialistischen Führung genauer zu
prüfen. Denn der ursprüngliche Impuls für diese Tagung war
von einer Anregung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgegangen, ihre
eigene Geschichte über das bisher bekannte Maß aufzuarbeiten.
So wies auch deren Präsident, Ernst Ludwig WINNACKER, in seiner Eröffnungsrede
auf die offenen Fragen in der Geschichte der DFG hin. Diese müsse
sich sowohl ihrer Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus, wie auch
der Frage nach personellen Kontinuitäten über ihre Wiedergründung
1949 hinaus kritisch stellen.
Die Konferenz war in vier
Blöcke gegliedert, die neben der Eröffnungsveranstaltung die
jeweiligen systemspezifischen Besonderheiten wie auch die Übergänge
von einem System zum nächsten thematisierten. Grundsätzlich ließe
sich fragen, ob nicht eine organisatorische Aufteilung in einzelne parallele
Arbeitsgruppen dem disparaten Charakter der deutschen Wissenschaftsgeschichte
zwischen Geistes-, Naturwissenschafts-, Medizin- und Technikgeschichte
eher Rechnung getragen hätte. Es kann dagegen als einendes Moment
verstanden werden, wenn gerade zur Vermeidung weiterer disziplinärer
Aufsplitterung der Versuch unternommen wurde, die unterschiedlichen historischen
Aspekte von Wissenschaften und Technik in einem Plenum zu diskutieren.
Bereits die Überblicksvorträge
von Ulrich WENGENROTH und Mitchell ASH machten das Spektrum des Programms
deutlich. Ash erörterte die Bedeutung von Wissenschaften und Politik
als Ressourcen füreinander, wobei er "Ressourcen" auf die Vielfältigkeit
der Interaktionsformen zwischen beiden Systemen bezog. Der Netzwerkcharakter,
der das Verhältnis von Wissenschaften und Politik seit dem Beginn
des 20. Jahrhunderts kennzeichne, mache es notwendig, die wechselseitigen
Abhängigkeits- und Legitimationsverhältnisse von Wissenschaft
und Politik in einem erweiterten Rahmen zu untersuchen. So seien Autonomie
und Kontinuität wissenschaftlicher Organisationen und Institutionen
keine Selbstverständlichkeiten, sondern konstruierte Realitäten,
die in ihren jeweiligen Kontexten hergestellt und bestimmt worden seien.
Die Überprüfung dieser Konstruktionsmechanismen gehöre zu
den Aufgaben einer künftigen Wissenschaftsgeschichte.
Ulrich WENGENROTH betrachtete
dagegen die deutsche Wissenschaftsentwicklung vor dem Hintergrund ihres
Innovationspotentials. Seit etwa 1900 hätten danach Wissenschaften
und Technik in Deutschland ihre Forschungsbemühungen auf die Entwicklung
und Herstellung von Ersatzstoffen konzentriert, um die eigene Rohstoffarmut
kompensieren zu können. Die internationale Isolation Deutschlands
im Ersten Weltkrieg verstärkte diese Tendenz. In den nationalsozialistischen
Kriegsvorbereitungen wurden wiederum durch Preis- und Abnahmegarantien
großtechnische Anlagenprojekte verwirklicht, die nur innerhalb dieses
künstlich erzeugten Systems "wirtschaftlich" produzieren konnten.
Mit dieser "Wagenburg der Autarkie" hätte sich das deutsche Wissenschafts-
und Innovationssystem in einen "selbstgewählten Käfig" (Wengenroth)
begeben, dessen Nachwirkungen gepaart mit einem hohen Industrialisierungsgrad
noch immer für die deutsche Innovationskultur prägend seien.
Die Eingängigkeit dieser Metaphern und die damit verbundene Grundproblematik
deutscher Wissenschafts- und Technikentwicklung trugen wohl dazu bei, dass
zahlreiche spätere Beiträge auf diese Bilder zurückgriffen.
Im ersten Block "Spätes
Kaiserreich und Übergang zur Weimarer Republik" diskutierte Michael
HEIDELBERGER die Veränderungen von Weltbildern durch die moderne Physik
vor dem ersten Weltkrieg. Die Erschütterung des mechanistischen Weltbildes
durch elektromagnetische Äthertheorien und Einsteins Relativitätstheorie
schlugen sich in einem lebensphilosophischen Diskurs über das Verhältnis
von Wissenschaft und Lebensführung nieder, in dem das Konzept einer
wissenschaftlichen Lebensführung umgekehrt worden und in antirationalistische,
die Intuition betonende Lebensauffassungen zu Beginn der zwanziger Jahre
eingemündet sei.
Mit seinem Beitrag zur Biologisierung
des Menschen lenkte Heinz SCHOTT den Blick auf das Verhältnis von
Naturwissenschaften und Gesellschaftstheorien. Vor dem Hintergrund sozialdarwinistischer
Theorien erzeugten um 1900 die biologischen Wissenschaften im Wechselverhältnis
zu Politik, Ökonomie und Kultur eine Interpretationsvorlage für
die geistigen Strömungen der Zeit. Naturphilosophische Elemente, gepaart
mit einem atheistischen Weltbild, das Wissenschaft zur Religion erhob,
lieferten auf dieser Basis die Grundlage für rassenbiologische Diskurse
und organizistische Gesellschaftsvorstellungen, die schließlich in
die Katastrophe der Euthanasieaktionen im Nationalsozialismus führten.
Volker ROELCKE kommentierte diese Darstellung am Beispiel der Entwicklung
in der Psychiatrie.
Gangolf HÜBINGER thematisierte
in seinem Beitrag Wertekollisionen in den Geisteswissenschaften zu Beginn
des 20. Jahrhunderts. Die wissenschaftlichen Definitionsbemühungen
um gesellschaftliche Selbstbestimmung in den Geisteswissenschaften seien
eine Reaktion auf eine alle Industrienationen umfassende Krisenerfahrung
nach der Jahrhundertwende. An einem Vergleich zwischen geisteswissenschaftlichen
Denkrichtungen in Heidelberg und Leipzig erläuterte er konkurrierende
Gesellschaftsinterpretationen.
Die vielleicht methodisch
interessantesten Ansätze boten die ersten Sitzungen des zweiten Blocks
"Weimarer Republik und Übergang zum Nationalsozialismus". Margit SZÖLLÖSI-JANZE
eröffnete die Sektion mit einer dem Konzept der Knowledge-Society
entlehnten Beschreibung der deutschen Wissenschaftsentwicklung seit dem
späten 19. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Republik. Die Erweiterung
des deutschen Wissenschaftssystems durch die Gründung außeruniversitärer
Forschungseinrichtungen und die Einbeziehung von Reich, Industrie und Militär
in die Wissenschaftsorganisation kennzeichneten danach eine Entwicklung
in Deutschland hin zu einer Wissensgesellschaft.
In seinem Kommentar bot
Rudolf STICHWEH die Interpretation an, dass Deutschland am Ende der Weimarer
Republik weniger eine Wissensgesellschaft als eine Wissenschaftsgesellschaft
gewesen sei, die von der Hegemonie wissenschaftlichen Wissens unter Ausschluss
anderer Wissensformen geprägt gewesen sei.
Der anschließende
Vortrag von Jonathan HARWOOD untersuchte in Erweiterung der Thesen Fritz
RINGERS die Veränderungen im deutschen Wissenschaftssystem an den
unterschiedlichen intellektuellen Denkstilen von Mandarinen und Experten.
Während Ringers Thesen sich auf den Abstieg der deutschen Mandarine
konzentrierten, versuchte Harwood mit der Gegenüberstellung von Mandarinen
und Experten das Bild eines historischen Transformationsprozesses von Forschertypen
zu erweitern. Eine Untersuchung dieser unterschiedlichen Forschertypen
könne danach zu einer vertiefenden Betrachtung der fachlichen Ausrichtungen
in den einzelnen Wissenschaften beitragen.
In seinem Kommentar erläuterte
Jeffrey JOHNSON die Implikationen dieses Modells am Beispiel der Rolle
deutscher Chemiker im Ersten Weltkrieg. Ressourcenknappheit und die Umwandlung
des Angriffskriegs in einen Stellungskrieg konfrontierte vor allem auch
deutsche Wissenschaftler mit neuen Aufgaben. Wenngleich die Bearbeitung
dieser Probleme in teilweise neuen institutionellen Kontexten mit interdisziplinären
Anforderungen von den Wissenschaftlern sowohl Eigenschaften eines Mandarins
wie eines Experten verlangte, hätten die Spezifika dieser anwendungsbezogenen
Forschung während des ersten Weltkriegs dennoch vor allem die Entwicklung
von Expertenwissen gefördert.
Weitere Beiträge dieser
Sektion behandelten die personelle Entwicklung in den Kultusministerien
und die Probleme der deutschen Soziologie in der Weimarer Republik und
während des Nationalsozialismus.
Die Nachmittagssitzung galt
dem deutschen Wissenschaftssystem unter dem Nationalsozialismus. Im ersten
Beitrag zu dieser Sektion ging Notker HAMMERSTEIN auf die Veränderung
der Wissenschaftslandschaft während des Nationalsozialismus ein. Die
von Hammerstein betonten strukturellen Kontinuitäten des Hochschulsystems
und seine Einschätzung des Reichswissenschaftsministeriums in Berufungsfragen
wurden kontrovers diskutiert.
In seinem Korreferat wies
Lothar MERTENS auf die Rolle des nationalsozialistischen Dozentenbundes
hin, dessen oftmals subjektiv gefärbte Gutachten bei Berufungsverfahren
und Förderanträgen ausschließendes Kriterium sein konnten.
Wolfgang ECKART behandelte
anschließend die humanexperimentelle Bakteriologie- und Hygieneforschung
im deutsch-japanischen Vergleich. Unter dem Aspekt der Normenentwicklung
humanexperimentellen Handelns zeichnete er die Aufweichung wissenschaftlicher
und ethischer Normen im Nationalsozialismus nach. Am Beispiel der japanischen
Biological-Warfare-Forschung, der zwischen 1936?1945 ca. 8.000 bis 9.000
Chinesen zum Opfer fielen, diskutierte Eckart die Frage, ob es zulässig
sei, die auf solche verbrecherische Weise erzielten Ergebnisse unter "normalen"
Bedingungen zu verwerten, wie es die USA nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
getan haben. Paul WEINDLING kommentierte den Beitrag mit dem Hinweis auf
die Ambivalenzen der Forschungen in den sog. Le-benswissenschaften unter
ideologischen Belastungen.
Lutz RAPHAEL ergänzte
diese Ausführungen durch das Beispiel der anwendungsorientierten Betriebspsychologie
und Eignungsdiagnostik zwischen 1930-1960, in denen er mit der Vorherrschaft
von unternehmerischen Rationalisierungszielen einen weniger politisch gewollten
als pragmatischen Immunitätsfaktor gegen die weltanschaulichen Ideologien
der Nationalsozialisten sah.
Der Frage nach Großforschung
im nationalsozialistischen Wissenschaftssystem wandte sich Helmut TRISCHLER
zu. Wachstum und Ressourcenkonzentration in der Luftfahrtforschung und
in einzelnen Forschungszweigen der Chemie ließen danach in der Weimarer
Republik und im Nationalsozialismus Züge von Großforschung erkennen.
Mit der Raketentechnologie und Kerntechnik erweiterte sich das Spektrum
von Technologien, die unter den Bedingungen des Nationalsozialismus in
großtechnischem Stil gefördert wurden. Die polykratische Herrschaftsstruktur
des Nationalsozialismus hätte hier allerdings die Herausbildung von
Kommunikationsstrukturen verhindert, die für eine erfolgreiche Umsetzung
und Koordination der einzelnen Teilbereiche dieser Großprojekte notwendig
gewesen wäre.
Die wohl kontroverseste
und von mancherlei (konstruktiven?) Missverständnissen durchzogene
Debatte der Tagung enspann sich um den letzten Beitrag zu dieser Sektion.
Jürgen REULECKE präsentierte
mit einem Referat zur Generationalität und der West/Ostforschung einen
Interpretationsversuch, der von einer "Gleichgerichtetheit" der Erfahrungen
zweier Generationen ausging. Die erste dieser Generationen umfasste danach
die etwa zwischen 1890 und 1900, die zweite die zwischen 1902 und 1913
Geborenen. Für diese Altersgruppen hätte sich in zeitgenössischer
Terminologie die Bezeichnung "verlorene Generation" durchgesetzt. Der ersten
"verlorenen Generation", die, wie Hannah Arendt beschrieb, in den Materialschlachten
des Ersten Weltkriegs von Knaben zu Männern gereift sei, sei eine
zweite ebenso "verlorene Generation" gefolgt, die von den Erlebnissen der
Revolution, Inflation und Arbeitslosigkeit geprägt wurde. Die Erfahrungen
dieser jüngeren Generation kulminierten in einer auf Veränderung
gerichteten Zukunftsperspektive, die wiederum von der älteren Frontgeneration
mit den Konzepten eines "neuen Menschen" und der Gewinnung von "Lebensraum"
bedient wurde. Exemplarisch beleuchtete Reulecke das Verhältnis dieser
beiden Generationen an den Beziehungen zwischen Hans ROTHFELS (geb. 1891)
zu seinen Schülern Erich MASCHKE (geb. 1900), Werner CONZE (geb. 1910)
und Theodor SCHIEDER (geb. 1908). Das Verhalten dieser jüngeren Generation
sei durch Gefühlskälte und Opportunismus bzw. die Bereitschaft
zur Anpassung an neue Verhältnisse als generationsspezifische Strategie
zur Bewältigung mehrfacher Verlusterfahrung gekennzeichnet. Letztlich
liege die Tragik dieser zweiten, jüngeren Generation auch darin, mit
dem idealistischen Konzept eines "neuen Menschen" angetreten zu sein und
in der Mitte ihres Lebens damit fertig werden zu müssen, einem verbrecherischen
Regime zugearbeitet zu haben.
In einem ersten Kommentar
zu diesen Thesen erörterte Ingo HAAR kritisch die Möglichkeit,
dieses Konzept auf die Wissenschaftler des Generalplans Ost anzuwenden.
Geoffrey GILES prüfte die Thesen Reuleckes in einem zweiten Kommentar
an den Motivationslagen einer jungen Akademikerschaft in den dreißiger
Jahren, sich am studentischen Osteinsatz zu beteiligen.
Scharfe Widerrede gegen
Reulecke brachte schließlich Peter SCHÖTTLER vor, der sich gegen
einen solchen verallgemeinernden kollektiven Zugang verwahrte und in dieser
Art von "langfristigem Determinismus" eine Relativierung und indirekte
Entschuldigung der NS-Verbrechen vermutete.
Die letzte Sektion erörterte
Entwicklungen in der frühen Bundesrepublik und DDR. Hubert LAITKO
eröffnete die Sitzung mit einem Soziogramm Berliner Hochschullehrer
und Forscher zwischen 1945 und 1950. Eindrücklich erläuterte
er, wie die Berliner Wissenschaftslandschaft bereits in den letzten Kriegsjahren
durch die Aussiedlung zahlreicher Forschungsinstitute auseinander fiel.
Auch die bisher wenig beachtete Tätigkeit von Wissenschaftlern in
der Sowjetunion hätte nach 1945 erheblichen Anteil am Zusammenschmelzen
der Wissenschaftlerzahlen in Berlin gehabt. Dem standen nach 1945 nur wenige
Remigranten gegenüber. Die sich zuspitzenden Systemgegensätze
steigerten dagegen den Bedarf an wissenschaftlichen Fachkräften, so
dass zuvor in Entnazifizierungsverfahren ausgeschlossene Forscher auf beiden
Seiten allmählich wieder in das Wissenschaftssystem integriert wurden.
Ein konträres Bild
des wissenschaftlichen Neubeginns zeichnete Sylvia PALETSCHEK für
die von Zerstörungen verschonte Universität Tübingen nach.
Tübingen war als eine der ersten Universitäten nach dem Krieg
wiedereröffnet worden und hatte zudem von der Aussiedlung einiger
Kaiser-Wilhelm-Institute profitiert. Mit diesen organisatorischen Angeboten
gelang es der Universität, beschäftigungslose Wissenschaftler
in die Stadt zu holen und Schwerpunkte für die zukünftige Entwicklung
zu setzen.
Uta GERHARDT betrachtete
ergänzend die Wiederanfänge der Soziologie in Heidelberg.
Der anschließende
Beitrag Claus-Dieter KROHNS behandelte die Situation von in die USA emigrierten
Wissenschaftlern im Hinblick auf Remigrationsbarrieren nach 1945. Von etwa
3.000 nach 1933 entlassenen Wissenschaftler emigrierten rund 1200 in die
USA. Unter ihnen hob Krohn besonders eine junge liberale Generation von
Sozialwissenschaftlern hervor, die in Amerika für eine moderne problemorientierte
Gesellschaftsanalyse gestanden habe. Die mittlerweile im Exil etablierten
Wissenschaftler verspürten wenig Neigung, 1945 in ein materiell und
moralisch zerstörtes Deutschland zurückzukehren, zumal den Remigranten,
wie etwa die Thomas-Mann-Kontroverse 1946 belegt, offene Ablehnung entgegenschlug.
Die Remigrationsrate lag demzufolge bei ca. 10?15%.
In seinem Korreferat erläuterte
Michael SCHÜRING die Remigrations- und Entschädigungsproblematik
in der Kaiser-Wilhelm/Max-Planck-Gesellschaft, die sich zunächst keineswegs
selbstverständlich als Rechtsnachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
verstand. Vor allem personelle Kontinuitäten in der Max-Planck-Gesellschaft
erschwerten eine Remigration. Ein rückkehrwilliger Wissenschaftler,
der 1948 von dem weiter bestehenden Beschäftigungsverhältnis
eines nationalsozialistischen Kollegen erfuhr und aus diesem Grund nicht
zurückkehrte, bewertete diesen Vorgang nachträglich als "zweite
Vertreibung". Weitere Beiträge behandelten die frühe bundesrepublikanische
Soziologie sowie die Entwicklung der Koautorenschaft in den Biowissenschaften
im 20. Jahrhundert.
Wissenschaften und Wissenschaftspolitik
vom späten Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik/DDR: "Ein
weites Feld - oder gar ein zu weites Feld?", so hatte es Rüdiger vom
BRUCH - Fontane zitierend - in seiner Einführung am Beginn der Tagung
formuliert.
Die vielfältigen Interaktionsmechanismen
zwischen Wissenschaften und Politik, die Vielzahl der methodischen Zugänge
und Interpretationsangebote und die Fülle offener Forschungsfragen
machen Akzentuierungen und Schwerpunktsetzungen notwendig. Angesichts dieser
Breite des Spektrums steht den Planern eines DFG-Schwerpunktprogramms "Wissenschaftsgeschichte",
das ursprünglich die Aufarbeitung der DFG-Vergangenheit bewältigen
sollte, eine schwierige und spannende Aufgabe bevor.
(Die Tagungsbeiträge
werden 2001 in der Reihe Pallas Athene des Franz Steiner Verlags veröffentlicht.)
Kontaktadresse: Stefan KRIEKHAUS,
Humboldt?Universität Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin, e-mail:
KriekhausS@geschichte.hu?berlin.de
|