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Am Freitag, dem 30. Maerz
2001, fand die dritte Nachwuchstagung der
Sektion Historische Bildungsforschung
in Berlin statt. Nach der ersten
dreitaetigen Nachwuchstagung
in Ludwigsfelde bei Potsdam 1997 und
einer dann zweijaehrigen
Pause wurde sie nun bereits zum zweiten Mal
in den Raeumen der Bibliothek
fuer Bildungsgeschichtliche Forschung
(BBF) in der Warschauer
Strasse in Berlin an zentraler Stelle
ausgetragen. Damit bewaehrt
sich auch das Konzept einer jaehrlichen
und dafuer eintaegigen Tagung
mit einer uebersichtlichen Anzahl von
Vortraegen und dem erwuenschten
intensiven Austausch. Bereits zu
Beginn zeigten sich die
Tagungsteilnehmer daher dankbar ueber die
‚Aufnahme` in den Tagungsraeumen
der BBF.
Nach der Begruessung der
etwa 30 Teilnehmer - darunter auch einige
Studenten - durch den Leiter
der BBF, CHRISTIAN RITZI, den
Vorsitzenden der Sektion,
Prof. Dr. UWE SANDFUCHS, sowie den
Organisator der Tagung,
Dr. JOERG-W. LINK wurden sieben
bildungshistorische Forschungsprojekte
vorgestellt. Mit Ausnahme des
bereits abgeschlossenen
Magisterarbeitsprojektes von JOACHIM SCHOLZ
handelte es sich bei den
Vortraegen um Dissertationsprojekte. Die
sieben Referate deckten
ein breites Spektrum ab. Zeitlich waren Sie
vom 17. bis zum 20. Jahrhundert
angesiedelt, inhaltlich ergab sich ein
Schwerpunkt vor allem auf
schulpaedagogischen, aber auch allgemein-
und sozialpaedagogischen
Fragestellungen. Im Einzelnen waren dies:
AGNES WINTER (Berlin): Das
Gelehrtenschulwesen der Residenzstadt
Berlin-Coelln in der Zeit
von Konfessionalismus, Pietismus und
Fruehaufklaerung (1640-1740);
TANJA BLATTNER (Tuebingen): Der Ausbau
des wuerttembergischen Realschulwesens
unter dem Innen- und
Kultusminister Johannes
von Schlayer (1835-1848) - werbende
Schulpolitik im Spannungsfeld
von Tradition und Fortschritt; JENS
ACKERMANN (Flensburg): Volksgesundheit
und einer ihrer paedagogischen
Repraesentanten: Friedrich
Paulsen; FLORIAN BERNSTORFF (Flensburg):
Evolutionstheorien und paedagogisches
Denken. Rezeptionshistorische
Analysen der paedagogischen
Literatur zwischen 1860 und 1914; MARNIE
SCHLUETER (Muenster): Das
Reichsministerium fuer Wissenschaft,
Erziehung und Volksbildung
oder die Verwaltung der Schule im
Nationalsozialismus; JOACHIM
SCHOLZ (Potsdam): "Haben wir die Jugend,
so haben wir die Zukunft".
Die Obstbausiedlung Eden (1893-1945) als
ein alternatives Gesellschafts-
und Erziehungsmodell; KNUT ENGELER
(Oldenburg): Reformpaedagogik
im Abseits? Untersuchungen zur Praxis
des Geschichtsunterrichts
an hoeheren Schulen Deutschlands (1918-1933)
sowie zur Rezeption reformpaedagogischer
Motive in der
Geschichtsdidaktik nach
1945.
Was muss eine Nachwuchstagung
zu bildungshistorischen
Dissertationsprojekten leisten?
Fuer die Referenten geht es zunaechst
darum, ihre Projekte zu
praesentieren und darzustellen, sich einer
interessierten und kompetenten,
aber auch verstaendnisvollen und
mitunter kritischen Fachoeffentlichkeit
zu stellen. Darueber hinaus
soll sie Anregungen fuer
den Arbeitsprozess liefern, kurz:
Rueckmeldung, Orientierung,
Motivation und Kommunikation. Weiter ist
zu fragen: Wie wird aus
einer interessanten Idee eine Dissertation?
Es war ein grosses Verdienst
der Tagung, dass diese Schluesselfragen
eines Qualifizierungsvorhabens
immer wieder thematisiert wurden und
auch die anwesenden ‚Profis`
diese Fragen und Aufgaben im Blick
hatten: Den gewohnt humorvollen
Moderationen von UWE SANDFUCHS und
JOERG-W. LINK gelang es
immer wieder, eine sinnvolle Mischung aus
motivierenden und kritischen
Hinweisen zu den vorgestellten Projekten
zu finden. Darueber hinaus
standen wiederholt die auf eine
pragmatische und arbeitsoekonomisch
sinnvolle Eingrenzung der
Fragestellung zielenden
Aspekte einer Dissertation im Vordergrund der
Diskussion (beispielsweise
durch HANNO SCHMITT und AXEL NATH). Es
wurde offensichtlich, dass
eine Dissertation zumeist aehnliche Phasen
durchlaeuft: Die interessante
und motivierende Beobachtung (oftmals an
Hand von Quellen), das Erschliessen
notwendiger Quellen, die
Formulierung einer motivierenden
und den Arbeitsprozess
strukturierenden Fragestellung
vor dem Hintergrund eines meist engen
und vorgegeben Zeitrahmens.
Entsprechend dokumentierten
die vorgestellten Projekte sehr
unterschiedliche Bearbeitungsstaende:
Neben den von ihren
Fragestellungen und dem
erschlossenen Quellenmaterial bereits weit
fortgeschrittenen und sehr
anspruchsvollen Projekten von AGNES WINTER,
TANJA BLATTNER und MARNIE
SCHLUETER standen in anderen Vortraegen die
Schwierigkeiten der Quellenerschliessung
(KNUT ENGELER), einer
angemessenen Quellenauswahl
(FLORIAN BERNSTORFF) sowie der
Formulierung einer sinnvollen
Fragestellung (JENS ACKERMANN) im
Vordergrund der anschliessenden
Diskussion. Wiederholt wurde deutlich,
dass sich die Anlage eines
realistischen Projektes nur sinnvoll
zwischen Fragestellung und
vorhandenem Quellenmaterial vollziehen
kann. Besonders deutlich
wurde dies bei dem Vortrag von MARNIE
SCHLUETER: Das vorgestellte
Projekt ueber das
Reichserziehungsministerium
stiess im Plenum auf breite Zustimmung.
Hier wurde ein ausgesprochen
anspruchsvolles Projekt vorgestellt,
dessen Ergebnisse offensichtlich
von vielen anwesenden
Bildungshistorikern mit
Spannung erwartet werden. Dem dichten Vortrag
folgte eine ebenso dichte,
lebhafte und sehr ernsthafte Diskussion,
die sich u.a. der Frage
stellte, wie sich wissenschaftlicher und
disziplinaerer Anspruch,
Fragestellung und arbeitsoekonomische
Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
sinnvoll und notwendig
kombinieren lassen.
Die von allen Referenten
eingehaltene Struktur von 20-minuetigem
Vortrag und anschliessender
25-minuetiger Diskussion unterstuetzte das
Gespraech ueber diese Fragen
sehr gut. Die vorgestellten Projekte
praesentierten darueber
hinaus durchweg zum Teil hochinteressante
Beobachtungen und Quellen
und belegten damit, dass der Beginn von
Qualifizierungs- und Forschungsprojekten
meist in ueberraschenden,
unerwarteten oder auch nur
irritierenden Beobachtungen und
Quellenfunden besteht. Alle
Vortragenden stellten ihre Themen darueber
hinaus sprachlich und inhaltlich
anregend, zum Teil auch ausgesprochen
humorvoll vor, woraus sich
schnell eine angeregte Diskussion
entwickelte.
Der teilnehmende Beobachter
kann damit als Fazit festhalten:
Motivation, Zuspruch, aber
auch eine klare Orientierung waren die
Aktiva der Tagung. Die Atmosphaere
war heiter und konzentriert,
dadurch in der Sache ernsthaft,
konstruktiv und hilfreich. Die
Nachwuchstagungen loesen
ihren Anspruch zunehmend ein und sind damit
eine sinnvolle und wichtige,
aber auch notwendige Einrichtung
geworden.
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