Text des Beitrages: |
Wer Birmingham mit dem Bild
einer grauen, tristen englischen
Industriestadt assoziierte,
der musste waehrend der ISCHE Konferenz
seine Vorstellungen vom
Image der Stadt gehoerig revidieren. Birmingham
repraesentierte sich als
eine kulturell sehr bunte, offene und innovativ
aktive Stadt, in der Fragen
von Erziehung und Bildung stets von grosser
bildungs- und sozialpolitischer
Bedeutung waren und auch noch sind, was
sich nicht zuletzt auch
im Rahmenprogramm des Kongresses niederschlug.
Die progressiven paedagogischen
Reformansaetze und Schulversuche
Birminghams im 19. und 20.
Jahrhundert sowie die bildungsgeschichtlich
bedeutsame Gruendung der
ersten buerger-lich-staedtischen Universitaet
um 1900 hatten erheblichen
Einfluss auf die Bildungs- und
Erziehungs-geschichte des
Landes. Und auch heute noch kommt Birmingham
als groesster Local Educational
Authority (LEA) Englands der Ruf zu,
innovativ und progressiv
zu sein. Es ist daher auch nicht verwunderlich,
dass das Kongressthema der
ISCHE XXIII "Urbanisation and Education" die
Erzie-hung im staedtischen
Raum in den Vordergrund stellte. Der mit
einem Fragezeichen versehene
Un-tertitel "The city as a light and
beacon?" verweist zugleich
auf die Doppelboedigkeit und den
ja-nusartigen Charakter
des staedtischen Bildungsraumes und des darin
entwickelten paedagogischen
Engagements.
Das grosse Interesse an der
internationalen Tagung zeigte sich nicht
zuletzt darin, dass 150
Personen aus 27 Laendern an der letzten ISCHE
teilgenommen haben. Das
Programm umfasste 100 aus den eingegangenen
Abstracts ausgewaehlte Vortraege
und vier Plenarvortraege. Das
Rahmenprogramm sah neben
zwei Empfaengen an historisch bedeutsamen Orten
und dem obligatorischen
Bankett, das in der reizvollen Atmosphaere des
Botanischen Gartens stattfand,
noch unterschiedliche Exkursionen vor.
Die Teilnehmer bzw. Teilnehmerinnen
hatten die Moeglichkeit, das Soho
House zu besichtigen, in
dem Matthew Boulton, ein bekannter englischer
Unternehmer, Aufklaerer
und radikaler Denker, von 1766 bis 1809 lebte,
oder sie konnten die in
das Kunstmuseum der Stadt integrierte
Museums-schule besuchen,
in der im Rahmen vielfaeltiger Veranstaltungen
sowie durch Ausleihe ausgewaehlter
Museumsstuecke an Schulen versucht
wird, Kindern und Heranwachsenden
unterschiedlicher sozia-ler wie
ethnischer Herkunft geschichtliche
Zugaenge und Zusammenhaenge in einem
interkulturellen Kontext
zu erschliessem. Weiterhin bestand die
Moeglichkeit, interessante
historische Spuren im Rahmen des Programms
"Education in Birmingham"
zu verfolgen.
Ein Novum der ISCHE Konferenz
in Birmingham war, dass nicht nur in den
Arbeitsgruppen, son-dern
jetzt auch in den Hauptvortraegen - und somit
an prominenter Stelle -
die Geschlechterdimen-sion Beruecksichtigung
fand. Die vier Plenarvortraege
gingen von inhaltlich verschiedenen
Perspekti-ven, methodischen
Zugriffen und Zeitspannen aus und
verdeutlichten somit auf
unterschiedlicher Weise die Bandbreite des
Kongressthemas.
Kate Rousmaniere (Universitaet
Miami, USA) eroeffnete den inhaltlichen
Teil der Tagung mit einem
Vortrag ueber Margret Haley, Amerikas erste
Fuehrerin einer Lehrererinnenvereinigung.
Unter dem Titel "Being Margret
Haley, Chicago. 1903" versuchte
sie, unter Rueckgriff auf die eigenen
staedti-schen Lebenserfahrungen
in New York das Beziehungsverhaeltnis
zwischen Stadt, persoenlicher
Entwicklung und Arbeit im Leben Margret
Haley`s auszuloten. Untersucht
wurden insbesondere die Moeglichkeiten,
die das Stadtleben in Chicago
um 1903 der Frau Margret Haley, der
politischen Repraesentantin
und Fuehrerin einer Lehrerinnenvereinigung
bot; zugleich ging es aber
auch darum, jene "lessons" zu identifizieren,
die diese Stadt Haley lehrte.
Methodisch interessant und inspirie-rend
war bei diesem Vortrag die
Verschraenkung der beiden biographischen
Straenge. Im Rahmen der
Reflexion auf das eigene Lebens in einer
Grossstadt wurde der Interpretationsrahmen
offengelegt und der Blick auf
generellere Erfahrungsmuster
gelenkt.
Bengt Sadins (Universitaet
Linkoeping, Schweden) Vortrag "Funereal
Processions, Street Urchins,
Citizenship and Surveillance" befasste sich
mit der politischen und
kulturellen Transformation Schwedens in der
zweiten Haelfte des 17.
Jahrhunderts und den damit verbundenen
Auswirkungen auf das Schulsystem
und Verstaendnis von Erziehung. Auf der
Folie der traditionellen
Beerdigungs-prozessionen in Stockholm rollte
Sadin in eindrucksvoller
Weise die problematischen Zusammen-haenge
zwischen dem neuen nationalen
Erziehungsgedanken, dessen Einfluss auf
die politische und soziale
Struktur der schwedischen Nation und den
Beduerfnissen der unteren
Bevoelkerungsschichten im staedtischen Raum
auf. Er zeigte auf, wie
im Kontext der angestrebten Modernisierung des
Erziehungswesens und der
damit ver-bundenen Einfuehrung einer
institutionalisierten Form
der Armenunterstuetzung sowie eines Systems
der UEberwachung von Familien
der unteren Sozialschichten die Schule zur
Unterstuetzung ihrer Kinder
fuer ihre eigene Zwecke nutzten.
Carolyn Steedmans (Universitaet
Warwick, UK) Beitrag "Jemima`s Story:
Child, Class and the City"
griff auf Mary Wollstonecraft`s posthum
veroeffentlichten Roman
"The Wrongs of Woman, or Maria" (1798) zurueck,
der in Form von Ich-Erzaehlungen
die beiden Lebensgeschichten von
Woll-stonecrafts buergerlicher
Heldin Maria und ihrer aus dem Londoner
Unterschichtenmilieu stammen-den
Dienerin Jemima enthaelt. Vor allem
anhand Jemimas Geschichte
zeigte Steedman in sehr span-nender Weise die
Bruechigkeit der auf Rousseau
zurueckgehenden und bildungsgeschichtlich
wie bildungstheoretisch
bis heute verfestigten UEberzeugung auf, dass
die Stadt in Fiktion wie
Realitaet nicht der angemessene Ort fuer die
Existenz von Kindern und
Kindheit sei.
Eine thematisch ganz andere
Perspektive verfolgte Philippe Savoie
(Institut National de Recherche
Pédagogique, INRP, Paris) in seinem
Beitrag "The role of cities
in the history of schooling: a French
paradox (19th-20th centuries)".
In diesem schul- wie
bildungsgeschichtlich spannenden
Bei-trag ging es Savoie vor allem
darum, die vielfaeltigen
Ambivalenzen und Widersprueche aufzuzeigen, die
sich zwischen der staatlichen
Dominanz in der Entwicklung des
franzoesischen Schulwesens
und den lokalen Bildungspolitiken im Hinblick
auf die spezifischen Beduerfnisse
im staedtischen Raum ergaben. Mit
Rueckgriff auf die ‚Stadt`
als Forschungsfeld gelang es ihm, das
Ineinan-dergrei-fen der
verschiedenen Strukturen, Zustaendigkeiten und
Interessen im Bildungsbereich
in einem dif-ferenzierten Bild zu
erfassen.
Die einzelnen auf der Tagung
gehaltenen Vortraege waren auf fuenf
Bereiche aufgeteilt, die
das Kon-gressthema in unterschiedlicher Weise
absteckten. Unter der Bezeichnung
"City States" fanden sich Vortraege,
die den Konflikt, ob Erziehung
unter lokaler oder nationaler Kontrolle
stattfinden solle, thematisierten.
Die fuehrende Rolle und
Definitionsmacht einzelner
Staedte in Fragen der Erziehung fand in
diesem Kontext ebenfalls
Beruecksichtigung. In dem thematischen Strang
"Sites and Com-munities"
waren Vortraege zusammengefasst, die den
Entstehungshintergrund sowie
die Plazierung und Positionierung von
‚learning communities` im
staedtischen Raum thematisierten. Mit dem
Stichwort "Metropolis" verband
sich die Frage, ob der staedtische Raum
bildungs- und erziehungs-geschichtlich
unter der Perspektive der Loesung
oder der Erzeugung von Problemen
zu betrachten sei. Im Mittelpunkt von
"Space/Technology" standen
Vortraege, die sich auf die Interaktion
dieser beiden Bereiche bezogen.
Unter dem Stichwort "Representation"
waren Beitraege versammelt,
die sich mit populaeren Bildern von Schule,
Unterricht und Lehrpersonen
und deren repraesentaler Ver-aenderung
beschaeftigten. Der letzte
thematische Strang "Citizens and Subjects"
konzentrierte sich schliesslich
auf die Individuen in staedtischen
Schulen. Wie jedes Jahr
werden die Hauptvortraege sowie einzelne
ausgewaehlte Beitraege in
einem Sonderband der Zeitschrift Paedagogica
Historica (International
Journal of the History of Education)
veroeffentlicht.
Abschliessend ist zu bemerken,
dass die Tagung vom lokalen
Organisationteam in Birmingham
sehr gut vorbereitet und geplant war.
Aufgrund der excellenten
Organisation und Programmplanung blieb trotz
des dichten thematischen
Programms genuegend Zeit fuer Gespraeche und
transnationale Kontakt-
und Diskussionsmoeglichkeiten, was nicht zuletzt
auch ein zentrales Anliegen
der ISCHE Konferenzen ist.
Mitglieder des ISCHE Executive
Commitee
President: Professor Antonio
Novoa (Universitaet Lissabon, Portugal)
Secretary: Professor Wayne
Urban (Georgia State Universitaet, Atlanta
USA)
Treasurer: Professor Erwin
Johanningmeier (Universitaet South Florida,
Tampa USA)
Professor Agustin Escolano
Benito (Universitaet Valladolid,Spanien)
Professor Michael Omolewa
(Nigeria/UNESCO)
Professor John Ramsland
(Universitaet Newcastle, Australien)
Dr. Ruth Watts (Universitaet
Birmingham,UK)
Aus dem Executive Committee
ausgeschieden: Professor Christoph Lueth
(Universitaet Potsdam, Deutschland)
Neues Mitglied: Professor
Daniel Lindmark (Universitaet Umeå, Schweden)
ISCHE Homepage: http://www.cetadl.bham.ac.uk/hes/html/Home.htm
Nationaler Kontakt: Christine
Mayer (Universitaet Hamburg)
Mayer.Christine@erzwiss.uni-hamburg.de
Neue International Standing
Working Groups innerhalb der ISCHE
Cross-cultural Influences
in History of Education
Marc Depaepe (Univeritaet
Leuven), Klaus-Peter Horn (Universitaet
Dortmund), Christoph Lueth
(Universitaet Potsdam)
Kontakt: kphorn@fb12.uni-dortmund.de,
lueth@rz.uni-potsdam.de
History of Teacher Unions
and of University Associations
Jeffrey Tyssens (Vrije Universiteit
Brussel), André Robert (Université
Lyon 2)
Kontakt: tyssens.jeffrey@online.de,
adrobert@inrp.fr
ISCHE XXIV Paris, July 9-13
2002
SECONDARY EDUCATION
Institutional, Cultural
et Social History
Conference Themes
Secondary education, the
history of which is generally far from being
studied as much as primary
and higher education, is yet a very rich
subject. In the past, secondary
education used to give a ge-neral
education and a common culture
to the future social elite. In more
democratic societies, where
education for all has become an economic
asset as well as a right,
it had and it still has to adapt to mass
education, by diversifying
or by offering a new culture, and new methods
to pass it on. The historical
interest as well as the present stakes of
this question have led ISCHE
24`s organizing committee to propose the
theme of secondary education,
in the broadest sense of the word - any
post-elementary education
aimed at teenagers - without chronological or
geographical limits. On
the occasion of the bicentenary of the creation
of lycées, ISCHE
24 will take place in France where secondary education
- organized and controlled
by the state - has long represented the core
of the educational system.
It may be the starting point of comparative
reflections on the following
themes :
1. Political, institutional,
administrative history :
* The role of the national
state, local authorities and churches.
* Coexistence of a public
and a private sector.
* Strategic, administrative
and pedagogical autonomy of schools.
2. Schools and school communities
as subjects of study :
* How to deal with schools
as a historical subject ?
* School community : that
of teachers and pupils.
* Sociology of the pupils:
school status, social position, gender.
3. Teachers:
* Recruitment, careers,
working and living conditions.
* Teachers as a professional
group.
* Secularization, specialization,
feminization.
4. Models and curricula :
* Social elite and meritocracy.
* The policies of meritocracy
: scholarships, ranking, competitive
examinations.
* Discrimination and affirmative
action.
* Humanistic and realistic
models.
Information und Kontakt:
http://www.inrp.fr/she/ische24.htm
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