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HBO Datenbank - Bericht

Autor: Mayer, Christine
Titel: International Standing Conference for the History of Education - ISCHE.
Erscheinungsjahr: 2002
zusätzl. Angaben zum Autor: Universitaet Hamburg
Text des Beitrages:
Wer Birmingham mit dem Bild einer grauen, tristen englischen
Industriestadt assoziierte, der musste waehrend der ISCHE Konferenz
seine Vorstellungen vom Image der Stadt gehoerig revidieren. Birmingham
repraesentierte sich als eine kulturell sehr bunte, offene und innovativ
aktive Stadt, in der Fragen von Erziehung und Bildung stets von grosser
bildungs- und sozialpolitischer Bedeutung waren und auch noch sind, was
sich nicht zuletzt auch im Rahmenprogramm des Kongresses niederschlug.
Die progressiven paedagogischen Reformansaetze und Schulversuche
Birminghams im 19. und 20. Jahrhundert sowie die bildungsgeschichtlich
bedeutsame Gruendung der ersten buerger-lich-staedtischen Universitaet
um 1900 hatten erheblichen Einfluss auf die Bildungs- und
Erziehungs-geschichte des Landes. Und auch heute noch kommt Birmingham
als groesster Local Educational Authority (LEA) Englands der Ruf zu,
innovativ und progressiv zu sein. Es ist daher auch nicht verwunderlich,
dass das Kongressthema der ISCHE XXIII "Urbanisation and Education" die
Erzie-hung im staedtischen Raum in den Vordergrund stellte. Der mit
einem Fragezeichen versehene Un-tertitel "The city as a light and
beacon?" verweist zugleich auf die Doppelboedigkeit und den
ja-nusartigen Charakter des staedtischen Bildungsraumes und des darin
entwickelten paedagogischen Engagements.

Das grosse Interesse an der internationalen Tagung zeigte sich nicht
zuletzt darin, dass 150 Personen aus 27 Laendern an der letzten ISCHE
teilgenommen haben. Das Programm umfasste 100 aus den eingegangenen
Abstracts ausgewaehlte Vortraege und vier Plenarvortraege. Das
Rahmenprogramm sah neben zwei Empfaengen an historisch bedeutsamen Orten
und dem obligatorischen Bankett, das in der reizvollen Atmosphaere des
Botanischen Gartens stattfand, noch unterschiedliche Exkursionen vor.
Die Teilnehmer bzw. Teilnehmerinnen hatten die Moeglichkeit, das Soho
House zu besichtigen, in dem Matthew Boulton, ein bekannter englischer
Unternehmer, Aufklaerer und radikaler Denker, von 1766 bis 1809 lebte,
oder sie konnten die in das Kunstmuseum der Stadt integrierte
Museums-schule besuchen, in der im Rahmen vielfaeltiger Veranstaltungen
sowie durch Ausleihe ausgewaehlter Museumsstuecke an Schulen versucht
wird, Kindern und Heranwachsenden unterschiedlicher sozia-ler wie
ethnischer Herkunft geschichtliche Zugaenge und Zusammenhaenge in einem
interkulturellen Kontext zu erschliessem. Weiterhin bestand die
Moeglichkeit, interessante historische Spuren im Rahmen des Programms
"Education in Birmingham" zu verfolgen.

Ein Novum der ISCHE Konferenz in Birmingham war, dass nicht nur in den
Arbeitsgruppen, son-dern jetzt auch in den Hauptvortraegen - und somit
an prominenter Stelle - die Geschlechterdimen-sion Beruecksichtigung
fand. Die vier Plenarvortraege gingen von inhaltlich verschiedenen
Perspekti-ven, methodischen Zugriffen und Zeitspannen aus und
verdeutlichten somit auf unterschiedlicher Weise die Bandbreite des
Kongressthemas.
Kate Rousmaniere (Universitaet Miami, USA) eroeffnete den inhaltlichen
Teil der Tagung mit einem Vortrag ueber Margret Haley, Amerikas erste
Fuehrerin einer Lehrererinnenvereinigung. Unter dem Titel "Being Margret
Haley, Chicago. 1903" versuchte sie, unter Rueckgriff auf die eigenen
staedti-schen Lebenserfahrungen in New York das Beziehungsverhaeltnis
zwischen Stadt, persoenlicher Entwicklung und Arbeit im Leben Margret
Haley`s auszuloten. Untersucht wurden insbesondere die Moeglichkeiten,
die das Stadtleben in Chicago um 1903 der Frau Margret Haley, der
politischen Repraesentantin und Fuehrerin einer Lehrerinnenvereinigung
bot; zugleich ging es aber auch darum, jene "lessons" zu identifizieren,
die diese Stadt Haley lehrte. Methodisch interessant und inspirie-rend
war bei diesem Vortrag die Verschraenkung der beiden biographischen
Straenge. Im Rahmen der Reflexion auf das eigene Lebens in einer
Grossstadt wurde der Interpretationsrahmen offengelegt und der Blick auf
generellere Erfahrungsmuster gelenkt.

Bengt Sadins (Universitaet Linkoeping, Schweden) Vortrag "Funereal
Processions, Street Urchins, Citizenship and Surveillance" befasste sich
mit der politischen und kulturellen Transformation Schwedens in der
zweiten Haelfte des 17. Jahrhunderts und den damit verbundenen
Auswirkungen auf das Schulsystem und Verstaendnis von Erziehung. Auf der
Folie der traditionellen Beerdigungs-prozessionen in Stockholm rollte
Sadin in eindrucksvoller Weise die problematischen Zusammen-haenge
zwischen dem neuen nationalen Erziehungsgedanken, dessen Einfluss auf
die politische und soziale Struktur der schwedischen Nation und den
Beduerfnissen der unteren Bevoelkerungsschichten im staedtischen Raum
auf. Er zeigte auf, wie im Kontext der angestrebten Modernisierung des
Erziehungswesens und der damit ver-bundenen Einfuehrung einer
institutionalisierten Form der Armenunterstuetzung sowie eines Systems
der UEberwachung von Familien der unteren Sozialschichten die Schule zur
Unterstuetzung ihrer Kinder fuer ihre eigene Zwecke nutzten.

Carolyn Steedmans (Universitaet Warwick, UK) Beitrag "Jemima`s Story:
Child, Class and the City" griff auf Mary Wollstonecraft`s posthum
veroeffentlichten Roman "The Wrongs of Woman, or Maria" (1798) zurueck,
der in Form von Ich-Erzaehlungen die beiden Lebensgeschichten von
Woll-stonecrafts buergerlicher Heldin Maria und ihrer aus dem Londoner
Unterschichtenmilieu stammen-den Dienerin Jemima enthaelt. Vor allem
anhand Jemimas Geschichte zeigte Steedman in sehr span-nender Weise die
Bruechigkeit der auf Rousseau zurueckgehenden und bildungsgeschichtlich
wie bildungstheoretisch bis heute verfestigten UEberzeugung auf, dass
die Stadt in Fiktion wie Realitaet nicht der angemessene Ort fuer die
Existenz von Kindern und Kindheit sei.

Eine thematisch ganz andere Perspektive verfolgte Philippe Savoie
(Institut National de Recherche Pédagogique, INRP, Paris) in seinem
Beitrag "The role of cities in the history of schooling: a French
paradox (19th-20th centuries)". In diesem schul- wie
bildungsgeschichtlich spannenden Bei-trag ging es Savoie vor allem
darum, die vielfaeltigen Ambivalenzen und Widersprueche aufzuzeigen, die
sich zwischen der staatlichen Dominanz in der Entwicklung des
franzoesischen Schulwesens und den lokalen Bildungspolitiken im Hinblick
auf die spezifischen Beduerfnisse im staedtischen Raum ergaben. Mit
Rueckgriff auf die ‚Stadt` als Forschungsfeld gelang es ihm, das
Ineinan-dergrei-fen der verschiedenen Strukturen, Zustaendigkeiten und
Interessen im Bildungsbereich in einem dif-ferenzierten Bild zu
erfassen.

Die einzelnen auf der Tagung gehaltenen Vortraege waren auf fuenf
Bereiche aufgeteilt, die das Kon-gressthema in unterschiedlicher Weise
absteckten. Unter der Bezeichnung "City States" fanden sich Vortraege,
die den Konflikt, ob Erziehung unter lokaler oder nationaler Kontrolle
stattfinden solle, thematisierten. Die fuehrende Rolle und
Definitionsmacht einzelner Staedte in Fragen der Erziehung fand in
diesem Kontext ebenfalls Beruecksichtigung. In dem thematischen Strang
"Sites and Com-munities" waren Vortraege zusammengefasst, die den
Entstehungshintergrund sowie die Plazierung und Positionierung von
‚learning communities` im staedtischen Raum thematisierten. Mit dem
Stichwort "Metropolis" verband sich die Frage, ob der staedtische Raum
bildungs- und erziehungs-geschichtlich unter der Perspektive der Loesung
oder der Erzeugung von Problemen zu betrachten sei. Im Mittelpunkt von
"Space/Technology" standen Vortraege, die sich auf die Interaktion
dieser beiden Bereiche bezogen. Unter dem Stichwort "Representation"
waren Beitraege versammelt, die sich mit populaeren Bildern von Schule,
Unterricht und Lehrpersonen und deren repraesentaler Ver-aenderung
beschaeftigten. Der letzte thematische Strang "Citizens and Subjects"
konzentrierte sich schliesslich auf die Individuen in staedtischen
Schulen. Wie jedes Jahr werden die Hauptvortraege sowie einzelne
ausgewaehlte Beitraege in einem Sonderband der Zeitschrift Paedagogica
Historica (International Journal of the History of Education)
veroeffentlicht.

Abschliessend ist zu bemerken, dass die Tagung vom lokalen
Organisationteam in Birmingham sehr gut vorbereitet und geplant war.
Aufgrund der excellenten Organisation und Programmplanung blieb trotz
des dichten thematischen Programms genuegend Zeit fuer Gespraeche und
transnationale Kontakt- und Diskussionsmoeglichkeiten, was nicht zuletzt
auch ein zentrales Anliegen der ISCHE Konferenzen ist.

Mitglieder des ISCHE Executive Commitee
President: Professor Antonio Novoa (Universitaet Lissabon, Portugal)
Secretary: Professor Wayne Urban (Georgia State Universitaet, Atlanta
USA)
Treasurer: Professor Erwin Johanningmeier (Universitaet South Florida,
Tampa USA)

Professor Agustin Escolano Benito (Universitaet Valladolid,Spanien)
Professor Michael Omolewa (Nigeria/UNESCO)
Professor John Ramsland (Universitaet Newcastle, Australien)
Dr. Ruth Watts (Universitaet Birmingham,UK)

Aus dem Executive Committee ausgeschieden: Professor Christoph Lueth
(Universitaet Potsdam, Deutschland)
Neues Mitglied: Professor Daniel Lindmark (Universitaet Umeå, Schweden)

ISCHE Homepage: http://www.cetadl.bham.ac.uk/hes/html/Home.htm

Nationaler Kontakt: Christine Mayer (Universitaet Hamburg)
Mayer.Christine@erzwiss.uni-hamburg.de
 

Neue International Standing Working Groups innerhalb der ISCHE

Cross-cultural Influences in History of Education
Marc Depaepe (Univeritaet Leuven), Klaus-Peter Horn (Universitaet
Dortmund), Christoph Lueth (Universitaet Potsdam)
Kontakt: kphorn@fb12.uni-dortmund.de, lueth@rz.uni-potsdam.de

History of Teacher Unions and of University Associations
Jeffrey Tyssens (Vrije Universiteit Brussel), André Robert (Université
Lyon 2)
Kontakt: tyssens.jeffrey@online.de, adrobert@inrp.fr
 

ISCHE XXIV Paris, July 9-13 2002
SECONDARY EDUCATION
Institutional, Cultural et Social History

Conference Themes
Secondary education, the history of which is generally far from being
studied as much as primary and higher education, is yet a very rich
subject. In the past, secondary education used to give a ge-neral
education and a common culture to the future social elite. In more
democratic societies, where education for all has become an economic
asset as well as a right, it had and it still has to adapt to mass
education, by diversifying or by offering a new culture, and new methods
to pass it on. The historical interest as well as the present stakes of
this question have led ISCHE 24`s organizing committee to propose the
theme of secondary education, in the broadest sense of the word - any
post-elementary education aimed at teenagers - without chronological or
geographical limits. On the occasion of the bicentenary of the creation
of lycées, ISCHE 24 will take place in France where secondary education
- organized and controlled by the state - has long represented the core
of the educational system. It may be the starting point of comparative
reflections on the following themes :

1. Political, institutional, administrative history :
* The role of the national state, local authorities and churches.
* Coexistence of a public and a private sector.
* Strategic, administrative and pedagogical autonomy of schools.

2. Schools and school communities as subjects of study :
* How to deal with schools as a historical subject ?
* School community : that of teachers and pupils.
* Sociology of the pupils: school status, social position, gender.

3. Teachers:
* Recruitment, careers, working and living conditions.
* Teachers as a professional group.
* Secularization, specialization, feminization.

4. Models and curricula :
* Social elite and meritocracy.
* The policies of meritocracy : scholarships, ranking, competitive
examinations.
* Discrimination and affirmative action.
* Humanistic and realistic models.

Information und Kontakt: http://www.inrp.fr/she/ische24.htm

Erfassungsdatum: 18. 04. 2002
Korrekturdatum: 02. 04. 2004